Letztes Jahr habe ich in einem Workshop zur Plattformökonomie noch die Gruppen-Aufgabe gestellt, wie Jeff Bezos denn am besten den gigantischen Gesundheitsmarkt angehen könnte. Letzte Woche hat Amazon ernst gemacht und bekannt gegeben, dass Amazon, Berkshire Hathaway (das Investment-Vehikel von Warren Buffet) und JPMorgan Chase & Co. in Zukunft ein neues, technologiegetriebenes Angebot für den Gesundheitsmarkt in den USA entwickeln werden. Ziel ist es, Angestellte zufriedener mit ihren Gesundheitsleistungen zu machen und dabei die Kosten zu reduzieren.
Erfolgsfaktor: Gnadenlose Effizienz
Wenn jemand ein solches Ziel erreichen kann, dann Jeff Bezos mit seiner Strategie der tausend kleinen Schritte, die alle auf das große Ziel einer vernetzen Aggregations-Plattform einzahlen. Wir packen Amazon einfach in die Schublade eines Online-Händlers. Aber in Wirklichkeit ist Amazon ein weit verzweigtes System von Logistik, Händlern, Empfehlern, eigenen Produkten, eigenen Medienproduktionen und einem grandiosen Kundenerlebnis. Und das alles quasi nicht angreifbar durch eine gnadenlose Effizienz.
„Deine Marge ist meine Chance“ – ist eine der Weisheiten von Jeff Bezos, der genau mit dieser gnadenlosen automatisierten, digitalen Effizienz aus nicht effizienten Märkten und Prozessen die Luft raus lässt. Nur mit komplett durchdigitalisierten Prozessen sind die Grenzkosten NULL – und alle, die noch nicht soweit sind, können die Konkurrenten nicht mehr angreifen.
Meister der Aggregation
Amazon hat keine Vertriebstruppen losgeschickt, um Menschen im Einzelkampf zu gewinnen. Amazon hat einfach seine Plattform für Wettbewerber (Händler) geöffnet, um das Portfolio zu erweitern; und hat Beeinflussern und Menschen/Unternehmen mit Reichweite in Form von Blogs und Medien eine Möglichkeit gegeben, diese Reichweite mit Affiliate Links zu monetarisieren. Damit hat Amazon früh eine hoch innovative und kreative Vertriebsarmee für sich organisiert, ohne eigenes Personal einstellen zu müssen. – Im Gegenteil: die Wettbewerber haben Amazon selber bekannt gemacht.
Jeff Bezos ist der Meister der Aggregation und hat ein Gespür dafür, auch Wettbewerber glücklich zu machen. Egal ob im Handel, bei der eigenen Medienproduktion oder dem Verlegen von Büchern: Amazon schafft es überall mit kleinen fiesen Tricks, mit allen Beteiligten klar zu kommen und gleicht widersprüchliche Interessen irgendwie aus.
Apple wirkt dagegen wie ein plumper, törichter Elefant im Porzellanladen, wenn sich ein Homepod nur mit Content von Apple Music bespielen lässt und man als Spotify-Nutzer erstmal außen vor bleibt.
Starke Partner
Jeff Bezos ist also der ideale Kandidat, der ein solch komplexes Gebilde wie das amerikanische Gesundheitssystem aufrollen kann. Vielleicht kauft er sich wie mit Kiva Systems (Hersteller von Lagerrobotern) schon bald einen Anbieter, um die Infrastruktur im Gesundheitswesen radikal billiger zu machen.
Mit Berkshire Hathaway hat er einen Investment-Partner an Board, der stark in Versicherer und Rückversicherer eingebunden ist. Eine Zielgruppe, bei der man sich mit radikaler Kostensenkung bestimmt Freunde machen kann.
Und in Deutschland? Vorprogrammierter Stillstand
Im deutschen Gesundheitssystem dagegen ist Stillstand fest programmiert – denn der Staat hat mit dem Konzept der Selbstverwaltung hoheitliche Aufgaben an Krankenkassen, Kassenärztliche Vereinigungen (Vertreter der niedergelassenen Ärzte), Krankenhäuser und weitere Einrichtungen verteilt. Mit diesem Programm der verordneten Machtverteilung ist Prozess- und Kosten-Innovation nachhaltig ausgeschlossen.
Da wird es erstmal schwierig sein, mit preiswertem technischem Fortschritt im Mantel der Plattformökonomie mit kleinen Schritten in den Markt einzudringen und zu lernen. Aber vielleicht wird Deutschland ja damit nach einigen Jahren des Übens in anderen Ländern direkt ein Hauptangriffsziel für disruptive Veränderung in einem maroden System.
Wie lange braucht Amazon dieses Mal?
Mit dem Eintritt dieses Konsortiums lautet die Frage nun nicht mehr, wann es einen massiven Systemumbau für unser Gesundheitswesen gibt, sondern nur noch, ob wir die Auswirkungen in 5, 10 oder 20 Jahren am eigenen Leibe spüren werden. Meine ersten Amazon-Bestellungen habe ich im Jahre 2001 aufgegeben – damals bei einem völlig unbekannten Online Buchhändler. Es hat also mehr als 12 Jahre gedauert, bis Amazon den Retail-Markt umgekrempelt hat. Jeff Bezos ist geduldig und ausdauernd. Warten wir es ab.