Ein Gespräch über Fortschritt und Verantwortung
Zukunft ist keine Option, sie ist unvermeidlich. Aber wer gestaltet sie – wir oder unsere Maschinen? In meinem Gespräch mit Andreas Brandhorst, einem der klügsten Köpfe der Science-Fiction-Welt, werfen wir einen Blick darauf, wie KI nicht nur unsere Arbeit, sondern auch unsere Kreativität verändert. Spoiler: Die größte Bedrohung ist nicht die KI selbst, sondern unsere Bequemlichkeit.
Stefan Fritz: Warum wollen und sollten wir Menschen uns mit der Zukunft beschäftigen?
Andreas Brandhorst: Weil die Zukunft uns alle betrifft. Weil ein Blick in die Zukunft oder mögliche Zukünfte uns auch viel über die Gegenwart verrät.
Stefan Fritz: Können wir uns mit Zukunftsromanen besser auf die Zukunft vorbereiten oder helfen sie uns vor allem, die Gegenwart besser zu verstehen, weil wir quasi aus der Zukunft auf unsere heutige Realität zurückblicken können?
Andreas Brandhorst: Beides ist der Fall. Science-Fiction bietet uns die Möglichkeit, Szenarien für die Zukunft zu entwerfen, die Gegenwart gewissermaßen »weiterzudenken«, um zu sehen, wohin bestimmte Entwicklungen führen könnten. Genauso gut lässt sich mithilfe von Science-Fiction eine wünschenswerte Zukunft konstruieren, eine Art Utopia, um die Wege aufzuzeigen, die es einzuschlagen gilt, um sie zu erreichen.
Stefan Fritz: Wir Menschen sind die einzigen Lebewesen, die das Futur II verstehen und aus der Zukunft auf die Gegenwart zurückblicken können, um Verantwortung für unsere heutigen Handlungen zu übernehmen. Jetzt versuchen wir, dieses Denken auch der KI beizubringen. Wäre es ein entscheidender Fortschritt für die Menschheit, wenn uns das gelingt?
Andreas Brandhorst: Ich denke, wir wandeln da auf schmalem Grat. Einerseits könnte KI tatsächlich zu einem sehr mächtigen Werkzeug werden, zu einem wichtigen Verbündeten der Menschheit auf dem Weg in eine Zukunft, die hoffentlich besser ist als die Gegenwart. Wir könnten damit enorme Fortschritte in den Wissenschaften erzielen, den Krebs und andere bisher schwer heilbare Krankheiten besiegen und vielleicht sogar die bevorstehende Klimakatastrophe verhindern. Gleichzeitig sind Künstliche Intelligenz und echte Maschinenintelligenz, die sich schon bald daraus entwickeln könnten, höchst gefährlich. Wir könnten die Kontrolle verlieren. Denkende Maschinen wären als wertvolle Verbündete für die Menschen auf ihrem Weg in die Zukunft vorstellbar, aber wenn wir ihnen das Denken aus Bequemlichkeit überlassen, geben wir einen wichtigen Teil unseres menschlichen Wesens auf. Dann droht Dummheit. Es ist bereits heute absehbar: Bis vor etwa 15 Jahren stieg die durchschnittliche menschliche Intelligenz in der entwickelten Welt aufgrund verbesserter Lebensbedingungen, doch seitdem kehrt sich der Trend um. Neueste Schätzungen gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2050 die Durchschnittsintelligenz des Homo sapiens sapiens auf 86 % des heutigen Werts sinkt.
Stefan Fritz: Romane sind Geschichten. Geschichten sind seit jeher ein zentrales Element menschlicher Kultur und dienen der Weitergabe von Wissen und Erfahrungen über Generationen hinweg. Mit KI wird das auf einmal anders. Maschinen können unseren Platz einnehmen und fangen an, Geschichten zu erzählen und sogar eigenständig zu verbreiten. Welche Auswirkungen hat dies auf unser Menschsein, unsere Kultur und Identität?
Andreas Brandhorst: Vor einigen Jahren bei Sony in Berlin haben wir über die Kunst von morgen diskutiert, insbesondere über die Frage, wie KI die Kunst verändern wird. Einige Gesprächsteilnehmer bezweifelten, ob KI tatsächlich Einfluss auf die Kunst nehmen könne, und ich habe bei jener Gelegenheit betont, wie neugierig ich auf KI-Kunst sei. Inzwischen hat generative KI auch und gerade im künstlerischen Bereich eine Revolution ausgelöst. Meine Prognose: Die Umwälzungen haben gerade erst begonnen, und wer immer noch die »Kreativität« von KI anzweifelt, dürfte bald eines Besseren belehrt werden. Von KI produzierte Bilder erobern die Cover von Büchern und Zeitschriften. Es gibt bereits erste KI-Filme, und es wird nicht mehr lange dauern, bis KI verstorbene Schauspieler »wieder auferstehen« lässt: Wir werden Humphrey Bogart und Co. in neuen Filmen sehen. Allein von KI geschriebene Bücher werden auf den Bestsellerlisten erscheinen. Ob sie uns gefallen oder nicht: Ich halte diese Entwicklungen für unvermeidlich, bin neugierig und denke, dass wir mithilfe von Künstlicher Intelligenz unsere eigene Kreativität weiterentwickeln können. Wir sollten keinen Antagonismus entwickeln, sondern die Chancen für eine Zusammenarbeit nutzen. Vielleicht liefe es auf so etwas wie gegenseitige Befruchtung hinaus, die uns ganz neue Horizonte erschließt.
Stefan Fritz: Es gibt Naturgesetze und von Menschen geschaffene Regeln und Prozesse. Die letzteren können wir theoretisch ändern, auch wenn sie für die meisten verbindlich sind. Naturgesetzen kann niemand entkommen, aber in Gesellschaften haben wir mit der Aufklärung ein Konzept von Freiheit geschaffen, das uns Wahlmöglichkeiten als Individuen gibt. Bedeutet Menschsein letztlich, den Zufall als Ausdruck unserer Freiheit zu akzeptieren, um gesund und normal zu bleiben?
Andreas Brandhorst: Den vermeintlichen »Naturgesetzen« könnten wir vielleicht entkommen, wenn wir tatsächlich in einer Simulation leben – indem wir Einfluss auf die Parameter des Simulationsprogramms nehmen. Für manche Menschen ist der Zufall eine Folge von mangelnder Planung und, schlimmer noch, fehlender Disziplin. ABER: Zufälle schaffen Platz für Improvisation, und von dort ist es nicht weit bis zu Kreativität. Wir brauchen nicht unbedingt den Zufall »an sich«, wohl aber mehr Platz für Fantasie. Das würde unser Leben zweifellos lebenswerter machen. Und es gäbe uns auch mehr Freiheit.
Stefan Fritz: Warum ist die Freiheit des Gedankens für uns so wichtig, obwohl wir heute in allgegenwärtiger Form von Algorithmen manipuliert und beeinflusst werden?
Andreas Brandhorst: Die Freiheit des Gedankens ist immer wichtig, unter allen Umständen und überall. Sie ist ein zentraler Bestandteil unseres Menschseins. Aber Manipulationen in Form von falschen Informationen, auf deren Grundlage wir unsere Meinung bilden und uns ethisch und moralisch orientieren, macht diese Freiheit zu einer Farce, und dagegen müssen wir uns wehren. Wir müssen uns die Fähigkeit bewahren, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden. Das wird in einer Welt mit immer mehr Fakes sehr schwer werden.
Stefan Fritz: Wenn wir in einer Simulation leben würden, dann wäre diese Freiheit eine Illusion – wir stellen uns die Simulation als Knechtschaft der Matrix vor. Aber ist das nicht eine Überhöhung des Freiheit Begriffes? Ist es nicht vollkommen ok mit anderen 8 Milliarden Menschen nur in kooperativer Form leben zu können, indem wir auf ein wenig Freiheit verzichten? Ist es vielleicht notwendig, den Freiheitsbegriff 300 Jahre nach der Aufklärung neu zu definieren?
Andreas Brandhorst: Wäre unsere Freiheit im Rahmen einer Simulation anders beschaffen als im weltanschaulichen Umfeld von Religion? In beiden Fällen hätten wir es mit einer künstlich geschaffenen Welt zu tun, bestimmt von fremden Regeln, die unsere »Freiheit« begrenzen. Wir brauchen keine neue Definition des Freiheitsbegriffs, denn jeder von uns hat bereits seine eigene – eine der Ursachen für Uneinigkeit, Streit und Zwist.
Stefan Fritz: In ‚Der Riss‘ thematisieren Sie die Existenz paralleler Welten und die Möglichkeit, zwischen ihnen zu wechseln. Welche Implikationen hat dieses Konzept für unser Verständnis von Realität und Existenz in unserer eigenen Welt?
Andreas Brandhorst: Wir Menschen nehmen nur einen kleinen Teil des tatsächlich Existierenden wahr. Unsere Sinne sind beschränkt, und deshalb bauen wir Werkzeuge wie Teleskope und Mikroskope, um unseren kognitiven Horizont zu erweitern. Dabei stoßen wir auf Rätsel, die unser Weltbild erschüttern und verändern. Immer wieder erfahren wir, dass sich jenseits der von uns wahrgenommenen »Realität« die erstaunlichsten Dinge verbergen. Würden wir einen Beweis dafür finden, dass wir in einer Simulation leben, hätte das für unser tägliches Dasein kaum Auswirkungen, wohl aber für alle darüber hinausgehenden Lebensbereiche. »Der Riss« thematisiert genau das.
Stefan Fritz: Warum haben Sie sich entschieden Romane über die Zukunft zu schreiben? Welchen Impact, welche Wirkung, wollen Sie mit Ihren Romanen haben?
Andreas Brandhorst: Ich schreibe nicht, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Ich schreibe, weil mir das Gelegenheit gibt, gründlich über Dinge nachzudenken und meine Gedanken in Worte zu fassen.
Stefan Fritz: Literatur ist immer auch ein Spiegel der Zeit. Sie nehmen Strömungen wahr und verarbeiten Zeitgeist. Spüren Sie beim Thema KI vor allem Angst in den Menschen, oder sehen Sie auch Hoffnungen, Chancen und Neugierde?
Andreas Brandhorst: Viele Menschen machen sich tatsächlich große Sorgen wegen der technologischen und gesellschaftlichen Umwälzungen durch KI. Sie fürchten um ihre Arbeitsplätze und verlieren die Orientierung in einer Welt, die sich immer schneller verändert. Ich bin selbst skeptisch gewesen, als ich vor etwa 10 Jahren mit den Recherchen zu »Das Erwachen« begann. Das hat sich inzwischen geändert. KI kann sehr, sehr gefährlich sein, die »letzte Erfindung des Menschen, aber sie lässt sich auch als überaus mächtiges Werkzeug für die Verbesserung unserer Welt einsetzen. Wir haben es selbst in der Hand.
Stefan Fritz: Sie gehen Ihre Profession, das Schreiben, sehr gewissenhaft an, sehr diszipliniert. Sie arbeiten jeden Tag nach einem festen Rhythmus. Warum ist das für Sie wichtig?
Andreas Brandhorst: Dieser feste Rhythmus ermöglicht es mir, sehr produktiv zu sein. Morgens um 7 sitze ich meistens schon am Computer, schreibe, recherchiere oder beantworte E-Mails von Lesern. Gegen Mittag wird 1 Stunde gelaufen, was den Kopf befreit, und nachmittags wird erneut geschrieben, aber langsam und sehr überlegt. Das Resultat: 3 bis 6 Manuskriptseiten pro Tag.
Stefan Fritz: Haben Sie Sorgen, dass in Zukunft eine KI ihren Job machen kann? Das KI in Zukunft kreativ und emphatisch sein kann? Was würde das für Sie und unsere Gesellschaft bedeuten?
Andreas Brandhorst: Ich bin vor allem neugierig. KI wird Bilder und Filme erstellen, Gedichte und Romane schreiben, Musik komponieren. Sie wird die Kunst, wie wir sie bisher kannten, revolutionieren und ihr viel Neues hinzufügen. Davor haben sich die Menschen immer gefürchtet, vor Umwälzungen und dem Neuen. Ich sehe darin vor allem eine Herausforderung und eine Chance, die eigene Kreativität neu zu entdecken und zu erweitern.
Die Zukunft ist kein Ort, an den wir gehen – es ist einer, den wir gestalten. Nach dem Gespräch mit Andreas Brandhorst wird klar: KI kann uns helfen, Großartiges zu schaffen. Aber nur, wenn wir die Vision dafür haben. Die Zukunft gehört denen, die jetzt anfangen, sie zu schreiben.