AI-Operatoren: Die neuen Verfassungsgeber der Wirtschaft 

24. September 2025

Wer steuert morgen in Wirklichkeit unsere Unternehmen? 

Staaten haben Verfassungen, Unternehmen haben Governance-Strukturen – und die neuen AI-Operatoren schreiben gerade beides neu. 

Was klingt wie eine technologische Randnotiz, ist in Wahrheit der Kern der nächsten Machtverschiebung für Organisationen und Unternehmen, die IT-Systeme für ihre Verwaltung einsetzen. Die eigentliche Veränderung ist nicht technologisch, sondern machtpolitisch: Wer heute AI-Governance-Systeme in Organisationen etabliert, entscheidet über den Handlungsspielraum von Teams, die Funktionslogik von Prozessen und letztlich darüber, welche Geschäftsmodelle realisiert werden können. 

Für Unternehmer und Investoren schwindet der Einfluss auf ihre Organisationen fundamental: Prozesse und Informationsflüsse konnten bisher vom Management definiert, verändert und gesteuert werden. In Zukunft werden Anbieter wie ServiceNow, SAP oder Figma als AI-Operatoren komplette Governance-Systeme implementieren, die faktisch nur noch in sehr begrenztem Umfang vom Management beeinflusst werden können. Wer heute AI-Operator baut, ist nicht einfach Softwareanbieter – er ist digitaler Gesetzgeber. 

Machtlogik im Wandel: Von Hierarchie zur Governance 

Macht in Unternehmen folgte lange einer doppelten Logik: Hierarchie und Plattform. Die Hierarchie orientierte sich am klassischen Organigramm – CEO, Vorstand, Bereichsleiter, Mitarbeiter – mit einem klaren Fluss von Entscheidungen von oben nach unten. Parallel dazu bildeten IT- und Software-Plattformen wie SAP, Oracle oder Microsoft den technologischen Rahmen, innerhalb dessen gearbeitet wurde.

Auch in der agilen Welt änderte sich daran wenig: Die Hierarchie wurde lediglich in Rollen und Prozesse übersetzt, die Steuerbarkeit über Schlüsselpositionen und Tools blieb erhalten. Unternehmer konnten über diese Struktur bewusst gestalten. Doch genau das ändert sich jetzt fundamental. 

Die Entscheidungsmacht verschiebt sich von sichtbaren Strukturen zu unsichtbaren Steuerungsmechanismen. Diese neuen Governance-Mechanismen sind nicht auf den ersten Blick erkennbar – sie sind eingebettet in Systemarchitekturen, Frameworks und Policies. Sie wirken im Hintergrund und entziehen sich damit klassischen Kontrollmechanismen. 

Governance – das unsichtbare Machtzentrum 

Was früher durch Titel, Prozesse und Tools geregelt wurde, wird heute durch ein neues Machtzentrum ersetzt: Governance. AI-Operatoren etablieren tief in den Unternehmen eine Steuerungslogik, die auf Regeln, Zugriffspfaden und Entscheidungsarchitekturen basiert – leise, unsichtbar und dennoch allumfassend. Nicht mehr der CEO entscheidet, sondern das Framework, das vorgibt, welche Datenflüsse erlaubt sind, welche Modelle greifen und welche Outputs legitimiert werden. 

Der eigentliche Machtwechsel geschieht unbemerkt: Während CEOs noch AI-Initiativen starten und Features priorisieren, entsteht im Hintergrund eine neue Verfassung der Organisation. Wer sich heute für einen AI-Operator entscheidet, bestimmt damit nicht nur ein Tool – sondern den Möglichkeitsraum seines Unternehmens. Genau wie eine staatliche Verfassung vorgibt, welche Gesetze möglich sind, legt der AI-Governance-Stack fest, welche Geschäftsmodelle Realität werden – und welche nicht. 

Diese Entwicklung hat eine zweite, tiefere Dimension: Sie verändert auch die Verantwortung. Wenn Entscheidungen algorithmisch orchestriert werden, verschwimmt die Verantwortungslinie. Wer haftet bei Fehlentscheidungen? Wer ist verantwortlich für diskriminierende Modelle? Wer entscheidet, welche Daten in die Trainingsbasis gelangen? Governance ist nicht nur eine technische, sondern auch eine ethische und juristische Frage. 

Die neuen Verfassungsgeber – wer sie sind 

Die zentralen Akteure dieser neuen Machtverschiebung sind nicht mehr die klassischen Softwareanbieter, sondern AI-Operatoren, die Governance-Strukturen tief im Stack verankern: 

  • ServiceNow orchestriert mit seinem AI Control Tower globale Workflows – sie setzen die Standards, wie Arbeit abläuft. 
  • Snowflake dominiert die Datenebene – mit Horizon und Data Cloud regeln sie Zugriffe, Datenquellen und Trainingsflüsse. 
  • Databricks bringt mit Unity Catalog und dem Lakehouse Daten und Modelle unter Governance-Kontrolle. 
  • Figma bestimmt in Design-Teams, welche AI-Vorschläge zugelassen, verworfen oder automatisch übernommen werden. 
  • NVIDIA (Omniverse, Isaac) prägt, was AI-Agenten in Simulationen überhaupt lernen dürfen – sie kontrollieren den digitalen Zwilling der Realität. 
  • AWS (Bedrock + Guardrails) etabliert universelle Regeln über Modelle hinweg. Guardrails sind Governance-Bausteine, die Outputs begrenzen, prüfen und auditierbar machen – De-facto-Standards für ganze Branchen. 
  • Microsoft (Purview, Copilot) und Google (Vertex Responsible AI) liefern Governance-Pakete für Compliance, Sicherheit und Fairness – ihre Stärke: die enorme Reichweite in Office- und Cloud-Ökosystemen. 
  • Palantir geht noch weiter: Hier ist Governance kein Feature, sondern existenzielle Voraussetzung für regulierte Branchen. 

Diese Anbieter etablieren de-facto Standards. Wer heute einen AI-Operator wählt, entscheidet nicht nur über Funktionalität, sondern unterwirft sich einer neuen institutionellen Ordnung – mit langfristiger Bindungswirkung. Denn Governance-Architekturen lassen sich nicht einfach austauschen. Sie prägen Datenflüsse, Zugriffsrechte, Modellentscheidungen – und damit das Fundament der Unternehmenssteuerung. 

Chancen für Partner: Neue Geschäftsmodelle statt altem T&M 

Für Partner von AI-Operatoren eröffnet sich ein neues Spielfeld. Die klassische Logik von Time & Material – Stunden verkaufen, Projekte abwickeln – ist zu kurz gesprungen. AI-Governance verlangt andere Modelle.

Partner, die Managed Services anbieten, übernehmen nicht nur Setup-Aufgaben, sondern betreiben dauerhaft Governance-Systeme: Datenquellen ändern sich, Modelle werden ausgetauscht, Policies angepasst. Hier entstehen wiederkehrende Umsätze. 

Outcome-based Modelle gehen noch weiter: Unternehmen zahlen für Ergebnisse – etwa dafür, dass 80 % der Daten AI-ready sind oder Compliance-Abläufe auditierbar funktionieren. Der Partner wird zum Co-Betreiber. 

Auch geografisch entstehen Chancen: In den USA zählen Geschwindigkeit und Time-to-Market. Wer tief in Tech-Stacks integriert, wird strategisch. In Europa dominieren Vertrauen und Stabilität – hier sind Governance-Dienstleister auf Vorstandsebene gefragt. 

Die besten Partner sind künftig nicht mehr nur Dienstleister – sie sind Mit-Gestalter der Unternehmensverfassung. Das erfordert neue Kompetenzen: Datenpolitik, rechtliche Compliance, ethisches Design – und das Verständnis dafür, wie AI-Systeme nicht nur funktionieren, sondern wie sie Organisationen strukturieren. 

Fazit: Wer Governance beherrscht, kontrolliert die Realität 

Die Macht in Organisationen wandert – von Hierarchien über Plattformen hin zu Governance-Systemen. AI-Operatoren sind die neuen Verfassungsgeber der Wirtschaft. 

Für Unternehmer heißt das: Wer sich für einen Operator entscheidet, schreibt die Verfassung seiner Organisation neu. Das ist keine Tool-Entscheidung, sondern eine Entscheidung über Handlungsfreiheit und Zukunftsfähigkeit. 

Für Investoren heißt das: Wert entsteht nicht in den einzelnen Features, sondern dort, wo Governance-Systeme De-facto-Standards setzen – und damit ganze Branchen dominieren können. 

Für Partner heißt das: Die großen Chancen liegen nicht im alten Stundenmodell, sondern im laufenden Management von Governance. Wer mit AI-Operatoren Managed Services und Outcome-basierte Modelle aufbaut, wird unverzichtbarer Mitgestalter. 

Der Wettbewerb der Zukunft lautet nicht mehr: Wer hat das bessere Produkt? Sondern: Wer besitzt die schlagkräftigere Governance-KI-Infrastruktur? Wer sie beherrscht, schreibt die Spielregeln der Wirtschaft – und entscheidet über die institutionelle Ordnung ganzer Märkte. 

Bild generiert mit ChatGPT
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