Nur mit einem Quantensprung werden wir Europas Wohlstand retten

10. April 2024

Ein realistischer Blick auf die EU und unsere Zukunft

Kann uns Deutschland als europäischer Nationalstaat eigentlich noch eine positive wirtschaftliche und gesellschaftliche Perspektive liefern? Können wir unseren aktuellen Wohlstand langfristig halten?  

Ich denke nicht. Denn Tatsache ist: Mit Jammern, Auswandern und Vergleichen mit unseren Nachbarn werden wir die Situation nicht ändern. Und ich sehe keine intensiven Bemühungen, Europa zukunftsfähig zu machen. 

Wenn wir unsere geopolitischen Optionen durchgehen und zu Ende denken, bleibt realistisch nur eine einzige Perspektive: Eine wirklich neue und starke Europäische Union als souveräner Staat. Dies ist unsere einzige Chance, um in den nächsten Jahrzehnten mit Ländern wie China, Indien oder den USA auf Augenhöhe zu bestehen und unseren Wohlstand halten zu können. Aber wo stehen wir mit der EU heute? 

Die EU in ihrer aktuellen Form ist ein politisch notwendiges Konstrukt, das uns in den letzten Jahren einander nähergebracht hat. Diese Zwangsehe ist aber ein völlig ungeeignetes System, um als europäische Bürger und Gesellschaft langfristig wirtschaftlich erfolgreich und auf einem mit heute vergleichbaren Wohlstandsniveau bestehen zu können – dafür ist die multipolare Weltordnung zu komplex, die EU im internationalen Wettbewerb nicht agil genug. 

Wie können wir aus Europa einen angesehenen Partner auf Weltniveau machen? Und wer sollte zu einem Kern-Europa dazu gehören und was hält uns zusammen? 

Was definiert uns als EU heute?

Zunächst die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und dann die EU ist in erster Linie ein politisches Projekt mit wirtschaftspolitischen Zielen wie Preisstabilität, Wachstum und Vollbeschäftigung. Sie wurde durch verschiedene Instrumente wie Geld-, Fiskal-, Industrie- und Regulierungspolitik in einem institutionellen Rahmen umgesetzt.  

Dieser Rahmen umfasst beispielsweise eine unabhängige Zentralbank und nationale Schatzämter mit Budgetregeln. Besonders wichtig ist uns in unseren Erzählungen die Europäische Währungsunion und der Euro: Wir betrachten sie als laufende Projekte, bei denen das richtige Gleichgewicht zwischen fiskalischer, monetärer und regulatorischer Struktur schwierig zu erreichen ist. Erst mit dem Vertrag von Maastricht wurde die Europäische Union 1992 gegründet, die damit Zuständigkeiten in nichtwirtschaftlichen Politikbereichen bekam. Wir sehen die EU als einen kontinuierlichen Prozess der institutionellen Entwicklung und Anpassung an Krisen, ohne ein definitives Endziel. 

Der aktuelle Sinn und Zweck europäischer Politik und Politiker ist es, einen Apparat mit Bürokratie aufzubauen und zu entwickeln. Wir sind dabei, Europa über diese gemeinsame Verwaltung zu erschaffen und zu definieren. Eine echte europäische Identität als Voraussetzung einer supranationalen Volkssouveränität bildet sich so, wenn überhaupt, nur langsam und mit vehementer Gegenströmung heraus. 

Reicht das, um in der heutigen Welt erfolgreich zu bestehen und Europa aktiv zu positionieren? 

Sicher nicht, denn systemisch betrachtet, sind die einzelnen Nationalstaaten und die europäischen Parlamentarier vor allem mit sich selbst beschäftigt. Sie erschaffen ein eng verzahntes Bürokratie-Monster, bei dem auf unendlich viele Partikularinteressen Rücksicht genommen wird.  

Ein Blick in die Geschichte

Zu hoffen, dass sich diese Perspektive auf Europa bei Politikern oder bei uns Bürgern von allein oder durch einen sich friedlich evolvierenden Prozess irgendwann einstellen wird, ist eine Illusion. Ein starkes, friedliches und prosperierendes Europa schaffen wir nicht mit Demos, Rufen nach Frieden – oder ohne Anstrengungen, Schweiß und große Entbehrungen. Ein radikaler Wandel hat in der Geschichte dieser Welt noch nie ohne Krieg, ohne Revolution, ohne Kampf und Verluste stattgefunden. 

Die echte und finale Geburt von Europa mit eigener Identität und einem übergeordneten Kulturkonsens muss noch stattfinden. Ohne diesen Akt existiert Europa nicht in der Realität, nicht in den Köpfen der Menschen. Der Euro, die vielen Vorschriften, der schon stark vereinheitlichte Wirtschaftsraum, das viele Gerede – all das dient der Geburtsvorbereitung. Wir haben das Haus hergerichtet, die Tapete gewechselt – aber das Kind ist noch nicht da! 

Diese Geburt wird schmerzhaft. Sie kann nicht das Ergebnis nach einer weiteren Woche mit Verhandlungen sein. Es ist nicht auszuschließen, dass es physische Gewalt geben wird – eben Revolution. Mit Sicherheit jedoch wird es Verlierer und Gewinner geben. Vielleicht führt der Weg erneut über ein Kerneuropa, um dann wie eine Sphinx aus der Asche neu aufzuerstehen. 

Wir müssen uns also fragen: Wollen wir dieses Kind wirklich? Was sind unsere Erwartungen an seine Zukunft, unsere Hoffnungen an sein Aussehen, seine Fähigkeiten? Und dann werden wir einsehen müssen, dass wir es doch einfach akzeptieren und lieben werden, wenn es denn endlich da ist.

Sind wir bereit?

Die Frage für jeden einzelnen von uns lautet also: Sind wir bereit, diesen sicher für eine Generation entbehrungsreichen, ungewissen und gefährlichen Weg einzuschlagen? Sind wir bereit, auf persönliche Privilegien und Annehmlichkeiten, den schon erreichten Status zu verzichten? 

Oder hoffen wir darauf, der erste Fall in der Geschichte zu werden, in dem notwendige tiefgreifende Anpassungen und Veränderungen ohne Schmerzen erreicht werden können? Vielleicht geht es auch nochmal 50 Jahre gut, so dass es uns selber nicht mehr betreffen wird. 

Für das gute Gewissen können wir uns für das Weltklima oder soziale Verantwortung einsetzen. Wir können weiter ignorieren, dass wir uns um diese sicher richtigen und wichtigen Themen nur dann in 20 Jahren kümmern können, wenn wir eine wirklich stabile Basis und Perspektive auf geopolitischer Ebene für unseren Wohlstand haben. 

Die europäischen Kernländer sind nahezu alle Kolonialmächte, die nicht überall in der weltweiten Staatengemeinschaft so wohlgelitten sind, wie viele von uns hoffen, glauben oder vermuten. In der UNO haben wir bereits faktisch die Mehrheit verloren und schaffen es nicht mehr, wichtige Vorhaben nach vorne zu bringen und durchzusetzen. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, welche Rolle wir und andere Demokratien auf geopolitischer Ebene in den nächsten 30 Jahren spielen wollen. 

Oder doch einfach auswandern?

Selbstbild und Fremdbild klaffen auseinander: Die Wahrscheinlichkeit, dass wir den Weg zu einem vereinten und wirklich starken Europa einschlagen, halte ich für gering. Noch hoffen die Franzosen, dass sie Europa strukturieren können und die Italiener haben Wege gefunden, die Strukturen der EU in geschickter Form zu eigenen Vorteilen zu nutzen. Und wir Deutschen? Wir waren mal Musterschüler im Umweltschutz, das ist aber schon ein paar Jahre her. Wir waren Europameister im Kampf gegen Korruption. Heute halten wir nur noch Moralpredigten und werden zunehmend belächelt. Trotz Brexit und der miserablen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen, sehen Europafeinde im “Dexit” oder anderen Ausstiegsszenarien eine Chance. Sie wollen die Selbstbestimmung zurückgewinnen und versprechen sich und anderen hanebüchene Vorteile.  

Also ist der egoistische Alleingang des Auswanderns doch die einzige Möglichkeit zur Lösung des Problems? Heute denken wieder viele Menschen darüber nach, ob sie Deutschland nicht einfach den Rücken kehren sollen. Absolut verständlich. 

Wird doch weder ein Krankenpfleger, ein Verkäufer, aber auch kein Beamter und sicher kein Unternehmer von der breiten Masse und den Medien wertgeschätzt. Jetzt fangen schon die Politiker an, sich über mangelnde Wertschätzung zu beklagen.  

Das ist gut, denn es zeigt, dass Wohlstand mehr ist als Steuererleichterungen, soziale Goodies für Familien, Subventionen und Geld auf dem Konto und immer auf die eigenen Rechte zu pochen. 

Wer einen ordentlichen Job macht, arbeitet und sich um Leistung bemüht, der verdient den Respekt der anderen. Diesen Aspekt von Wohlstand haben wir schon verloren als Gesellschaft, weil heutzutage zu viele unserer Gesellschaft anstrengungslosen Wohlstand erwarten.

Aber ja, Auswandern ist für gebildete und ausreichend flexible Menschen sicherlich eine Option. Aber keine die etwas ändert. Eine schon ein wenig egoistische Variante. Aber es gibt Länder, die den Arbeitenden zumindest den Wohlstand der Anerkennung noch bieten. 

Perspektivwechsel und unser Wirkungswille

Es gibt heute keine etablierte Gruppe, die sich für ein radikal neues und konsequentes Europa einsetzt. 

Von Revolution, Krieg und Entbehrung sind wir heute noch weit genug entfernt, als das sich überhaupt eine ernstzunehmende Gruppierung findet, die sich für ein neues Europa stark macht. 

Aber die Perspektive einfach mal so weit zu wechseln, dass wir durchaus etwas ändern könnten, wenn wir nur wirklich wollten, hat mir einen neuen Blick auf den täglichen Frust mit Bürokratie, unsere Politik und auch das persönliche „einfach Abhauen“ geschaffen. 

Systemisch läuft alles wie es laufen muss und kann. Ohne das System zu ändern, geht es einfach so weiter. 

Sich für ein neues Europa einzusetzen ist für jeden von uns ein positiv realisierbares Ziel. Im Gegensatz zu unseren aktuellen Debatten zur Rettung des Klimas oder einer Gegenbewegung zum Rechtsruck in unserer Gesellschaft könnten wir uns für etwas einsetzen, anstatt einfach nur gegen etwas zu sein.  

Wir brauchen viele kleine Quantensprünge: Die Einsicht aller Europäer, dass wir ohne ein geeintes Europa auf dem Weg in die politische und wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit abrutschen. Das sind viele kleine Quantensprünge, die aber schließlich zu einem revolutionären Wandel führen können, die dann zusammen einen riesigen Schritt bedeuten.  

Nationalisten haben allerdings etwas dagegen und stattdessen einfache Antworten auf komplexe Fragen. (Ich habe offensichtlich mehr Fragen als Antworten.) 

Was sich jeder von uns fragen muss, der das verstanden hat und sich selbst im Spiegel betrachtet: Haben wir wirklich das richtige gemacht und genug getan, um unsere Gesellschaft in eine positive Zukunft zu führen?

Bild generiert mit ChatGPT
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