Was sind die erfolgreichen digitalen Geschäftsmodelle der Zukunft?

8. Mai 2024

Wer wird überleben?

In den letzten 20 Jahren wurde bereits so viel über das Internet, Informationsinfrastruktur in US-Hand, Aggregatoren, Markplätze und die KI-Revolution geschrieben. Ich bin der Meinung, dass wir bei der Betrachtung des Status quo und bei unseren Zukunftsprognosen in Bezug auf Digitalisierung und KI die Auswirkung der von uns selbst geschaffenen – und damit änderbaren – Narrativen, Regeln und Gesetzen vernachlässigen und damit die Entwicklungen falsch einschätzen.

Wieso akzeptieren wir als User, dass die großen Plattformen uns nudgen, teasern und faktisch jeden Tag hacken und damit abhängig machen? Weil es keine alternativen Angebote gibt, bei denen ich als User für eine Suche oder für ein soziales Netzwerk selbst zahlen kann und damit von den Scoring-Mechanismen für Manipulation und Beeinflussung in Ruhe gelassen werde.

Und warum gibt es keine Angebote? Weil wir User in der Masse nicht bereit sind, dafür zu zahlen. Und weil damit der Markt nicht so groß ist, als dass Investoren gerne ihr Geld geben.

Aggregatoren und Content

Aggregatoren sind heute so mächtig, weil sie den Zugang zur Nachfrage – also zu uns Usern – kontrollieren. Das Angebot an Content ist im Überfluss vorhanden, nie versiegend. Der Engpassfaktor ist unsere Aufmerksamkeit, denn diese lässt sich nicht unendlich steigern. Ein Mensch kann nur einen Film gleichzeitig schauen, nur auf einem sozialen Netzwerk gleichzeitig sein. Unsere Aufmerksamkeit lässt sich nicht über 24 Stunden pro Tag steigern.

Die Nutzung dieser Aufmerksamkeit steuern theoretisch wir Menschen. Wenn wir gehackt oder über soziale Erwartungen gelenkt werden, ist unser selbst bestimmter Einfluss kleiner als wir annehmen, egal wie autonom wir uns fühlen. Aus Sicht eines digitalen Geschäftsmodells ist Zeitung, Musik, Film, aber auch Bildung, Universität, ein Kochbuch oder ein Roman, alles nur Content.

Wenn es in den letzten Jahren einem Aggregator wie Facebook, Google oder auch Amazon gelungen ist, so viele Angebote (also Content) zu bündeln, dass es für uns attraktiv, oder eben deutlich einfacher ist, über den Aggregator zu gehen, dann hat das zu riesengroßen Konzernen geführt, die heute noch US-dominiert sind.

Die eigentliche Frage für diese “Aggregator Era” der letzten 15 Jahre wäre gewesen: Warum haben wir es zugelassen, dass die Aggregatoren unser Hirn über Likes, Feeds und Nudges in Form von Pop-Ups hacken dürfen, um uns im Loop zu halten?

Was ändert KI für Aggregatoren?

Der gesamte Content wird in Zukunft nicht mehr von Menschen erstellt werden müssen. Es gibt keinen Überfluss von menschengemachten Inhalten, der von Aggregatoren sortiert und in Feeds geschoben werden muss. Der Aggregator kann jede Form von Content selbst im Überfluss erstellen, oder User der Plattform lassen den Content von KI-Systemen erstellen.

Content war durch die Bündelung der Aggregatoren schon die letzten 20 Jahre im Überfluss vorhanden. Mit KI explodiert dieser Überfluss nochmals um Potenzen und der Content wird damit noch preiswerter. Es geht nicht nur um Posts auf Social-Media-Plattformen. Es geht um Bildungsinhalte, Tutorien, Filme, Bücher, Zeitungen, Magazine und Fotos. Mit KI geht es auf einmal darum, in möglichst effizienter Form den richtigen Content im geeigneten Augenblick zum richtigen User zu bringen.

Wohin das führt, zeigt TEMU: Auf dieser Tinnef-Verkaufsplattform werden wir zum Kaufen und damit Konsumieren von Waren animiert, von denen wir vor dem Klicken auf den Bestellknopf noch nicht mal wussten, dass sie überhaupt existieren, geschweige denn, welchen Nutzen uns die Sachen bringen sollen. TEMU ist kein neutraler Händler oder Vermittler mehr, sondern ein aktiver Manipulator, der unsere Schwächen kennt, um uns zum nächsten Kauf zu animieren.

Neben solchen eher vertikalen Spezialisierungen von Aggregatoren können in Zukunft auch neue horizontale Aggregatoren entstehen, die ganze Themengebiete abdecken. So zum Beispiel für (Weiter-)Bildung, Vermittlung von Arbeitskräften zu Unternehmen, Pendler-Mobilität und auch Altersvorsorge – um mal ein ganz dickes Brett zu nennen. Die ganze Organisation unserer persönlichen Arbeitskraft, quasi aus einer Hand.

Reines SAAS wird in Zukunft zu wenig sein

Bisher waren es die vielen tausend privaten und B2B Software-as-a-Service-Modelle, die neben den Aggregatoren rosige Geschäftsaussichten hatten und daher auch von Investoren geliebt wurden. In Zukunft wird ein erfolgreiches digitales Geschäftsmodell auch eine eigene Datenschicht haben müssen, der mit der Prozessschicht (dem SAAS-Modell) ein besonderer Mehrwert eingehaucht wird.

So wird es beispielsweise notwendig sein, dass eine B2B-Software-Lösung zur Maschinenoptimierung in Zukunft Daten von einer großen Anzahl ähnlicher Kunden beinhalten muss, die über ML/KI angelernt wurden. Alternativ können die Daten für den direkten Mehrwert der Software aus schwer erschließbaren Quellen wie beispielsweise Satellitendaten kommen. Oder es sind eben die hochsensiblen Nutzerdaten der Aggregatoren, die durch KI in konkrete Aktionen und monetarisierbare Handlungen verwandelt werden können. Ohne Zugriff auf einen Datenpool wird man in Zukunft mit reiner Software keinen monetarisierbaren Mehrwert für Kunden schaffen können.

Was wird aus Google?

Werden wir in Zukunft unsere Fragen noch in das Suchfeld bei Google oder anderen Suchmaschinen eingeben? Oder werden wir durch unseren persönlichen Chatbot beraten und begleitet? Wo suchen wir nach Öffnungszeiten, Reiseverbindungen oder interessanten Büchern?

Auch wenn wir bei Google fast immer nur auf die Ergebnisse der ersten Seite zugreifen – wir erhalten immer noch eine Auswahl und meinen, uns frei entscheiden zu können. Google überlässt uns den Rest einer Illusion von Freiheit, auch wenn wir dank Google die vielen Alternativen gar nicht mehr sehen. Bei Chatbots erhalten wir eine nach Möglichkeit abgewogene Antwort, aber wir sehen in der Regel gar nicht mehr, wo der Content herkommt.

Gerade stellen wir als User durch unser Verhalten die Weichen, wohin sich dieser Teil der Zukunft in den nächsten Jahren entwickeln wird. Viele von uns wollen gar keine Wahl mehr im Alltag haben, sondern eine einfache Empfehlung von einem Algorithmus, von dem wir im Detail gar nicht mehr begreifen können, wie er funktioniert und woher die Daten überhaupt kommen.

Brauchen wir noch Zeitungen und Medien?

Die Fragen dazu lauten vielmehr:

  • Woher bekommen wir in Zukunft noch vertrauenswürdige Informationen als Menschen? Und:
  • Wie schaffen wir ein Meinungssentiment für Gesellschaft als Ganzes und Gruppen über gedämpfte Resonanzkammern (das waren die Redaktionen von Medien früher einmal) außerhalb der Aufmerksamkeits-Ökonomie?

Diese beiden Fragen müssen wir als Individuen und Gesellschaft unbedingt beantworten. Der völlig falsche (aktuelle) Weg ist es, dass sich einst seriöse Zeitungen und sogar der umlagefinanzierte Öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland in die dazu völlig ungeeignete Aufmerksamkeits-Ökonomie bewegt haben.

Ich weiß noch nicht einmal, ob ich für faktenbasierte Informationen zu aktuellem Geschehen überhaupt eine KI-Zusammenfassung haben möchte. Ich würde in Zukunft lieber auf reflektierte, stabile und einschätzbare Menschen zurückgreifen.

Ich kann mir gut vorstellen, dass der nächste Schritt in der vertrauensbasierten Informationsbeschaffung wieder über Menschen und ihre persönlichen Marken, über Podcasts, Blogs und Artikel geht. Die normalen Medien müssen sich dringend Strategien überlegen, wie sie der Aufmerksamkeits-Ökonomie entkommen und wieder zu vertrauenswürdigen Instanzen ohne dogmatischen Einschlag werden können.

Horizontale und vertikale KI-Lösungen

Die heutigen generativen KI-Lösungen sind eine horizontale Technologie, weil sie in vielen Situationen eingesetzt werden können. Wir werden in nächster Zeit vor allem viele neue vertikale KI sehen, die mit spezifischem Branchen Know-how große Effizienzgewinne aufspüren wird.

Ob diese dann bald oder erst auf lange Sicht von der nächsten Bundling-/Unbundling-Welle in Richtung horizontale Modelle erweitert werden, ist aus meiner Sicht schwierig abzusehen.

Ob heutige Aggregatoren als horizontale Anbieter in der Lage sein werden, die vielen vertikalen Lösungen zu integrieren, die jetzt entstehen werden, ist für mich eine der spannendsten Themen der nächsten Jahre. Werden wir strauchelnde Tech-Giganten in den nächsten zehn Jahren sehen, die diesen nächsten Schritt nicht bewältigen, oder ist ihre faktische Macht und die Nähe über bereits verteilte Märkte wie Endgeräte, Betriebssysteme und Social-Media-Apps so groß, dass sie neue Aggregatoren erfolgreich abwehren können?

Fazit

Gewinnen werden in den nächsten Jahren die Firmen, die den Zugriff auf Daten mit ihrer Software und ihrem Prozess-Know-how in einer hohen Skalierung in einen Mehrwert verwandeln können. Hierfür wird es einen neuen Begriff geben müssen, den bisher noch niemand so richtig geschaffen hat. Spannend wird sein, ob es die großen Aggregatoren alle schaffen werden, ihre Modelle in die Zukunft zu retten und ob das werbebasierte Modell weiter das vorherrschende Modell bleibt.

Wir können uns schon heute weder bei der Erzeugung noch bei der Distribution und Präsentation von Informationen sicher sein, inwiefern diese von Algorithmen manipuliert oder verändert wurden. Für mich ist es schon jetzt völlig unerträglich und eigentlich unvorstellbar hinzunehmen, dass wir Menschen offensichtlich immer noch bereit sind, mit der Manipulation unserer Wahrnehmung in Form von Geschäftsmodellen aus der Aufmerksamkeits-Ökonomie (Social-Media, Feeds, Werbung) zu bezahlen. Diesen Informationen dürfen wir wegen des Mixes aus Inhalt und Präsentations-Algorithmus schon heute nicht mehr trauen.

Wesentlich ist, dass wir die Kontrolle über die Erzeugung und den Fluss von Informationen und deren Präsentation wieder erlangen. Das können wir über unsere Stimme, unseren Einfluss und unser Kaufverhalten selbst in die Hand nehmen. Ich bin gespannt, was wir daraus machen.

Bild generiert mit ChatGPT
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