oder: Was haben C02-Zertifikate mit dem Ablasshandel im Mittelalter zu tun?
Auch wenn Märkte nach dem Platzen von Blasen vor allem von den Verlierern kritisiert werden, sind sie doch als effiziente Grundlage für die Koordination der Wirtschafts-Akteure anerkannt.
Stromnetze, Eisenbahn, Post und Telekommunikations-Infrastrukturen waren in vielen Ländern in den 1950er bis 1990er Jahren staatlich verwaltet, organisiert gesteuert oder sogar im Besitz von Staaten. Dann setzte eine Privatisierungs- und Marktwelle ein, die wir auch in Deutschland mit dem Börsengang von Telekom (1996) und der Pseudo Privatisierung der Bahn (Umwandlung in eine AG mit 100 Prozent Staatsbesitz in 2008) erlebt haben. Parallel dazu haben wir die Bundesnetzagentur geschaffen, die in den Bereichen Energie, Post, Telekommunikation und Bahn „für einen diskriminierungsfreien, fairen Wettbewerb der Anbieter“ sorgt und neuen Unternehmen den Marktzugang ermöglicht.
Freie Märkte und fairer Wettbewerb
Transparente und offene Marktmechanismen wie fairer Wettbewerb werden dabei als positives Ziel ausgegeben. Aber manchmal sind die Maßnahmen und Ergebnisse nicht von sozialistischer Planwirtschaft zu unterscheiden:
- Fördert die überteuerte Versteigerung von UMTS oder 5G-Mobilfunklizenzen wirklich den fairen Wettbewerb?
- Ist es wirklich sinnvoll, einen Monopolisten wie die Telekom mit der von der Regulierungsbehörde erzwungenen Produkt TAL (Teilnehmeranschlussleitung), also der Bereitstellung einer Kupferdoppelader, zur Öffnung der eigenen Infrastruktur für Wettbewerber zur Nutzung für Produkte wie DSL zu zwingen? So fördert man bestimmt keine Infrastruktur-Innovation!
- Wohin haben uns hunderte reine Strom-Reseller geführt, die einfach nur Kunden eingesammelt haben und Strom an Endkunden verkaufen konnten, ohne jemals etwas mit den technischen Einrichtungen zu tun gehabt zu haben? Das irreale Modell einer deutschlandweiten Kupferplatte hat uns in die Sackgasse geführt und zentrale Strukturen anstatt dezentraler Infrastruktur gefördert.
Dies sind keine Argumente gegen Privatisierung und gegen Märkte. Diese Beispiele zeigen uns, dass man Märkte nicht einfach am Reißbrett entwerfen, steuern und manipulieren kann. Es entstehen dysfunktionale Systeme, bei denen man mit einer immer höheren Interaktionsrate eingreifen und gegensteuern muss, um die immer schneller entstehenden Missstände zu beheben.
Märkte sind ein dezentrales Konzept. Da ist es grundsätzlich eine schlechte Idee, Märkte mit zentralen Regulierungsbemühungen schaffen oder ordnen zu wollen.
Die Aufgabe von Staat und Politik ist es, der Wirtschaft mit ruhiger Hand und transparenten langfristigen Maßnahmen Leitplanken zu geben und sich nicht zum Schöpfer für Märkte zu erklären.
CO2- Reduktion mit Marktmechanismen
Aber die Politik hat im parteiübergreifenden Konsens den Wahnsinn noch weiter getrieben. Anreize und Bestrafung in Form von Förderprogrammen und Steuern sind kurzfristig wirkende Mechanismen, über die man streiten kann, die aber funktionieren. Natürlich gibt es Nebenwirkungen, auch unerwünschte. Aber man kann die Regeln ja auch wieder anpassen und ändern.
Beim Thema CO2 hat sich die EU dazu entschieden, nicht einfach ein staatliches Besteuerungssystem einzuführen. Stattdessen sollten in moderner Form Marktmechanismen genutzt werden, damit alle weniger CO2 erzeugen.
Das klingt zunächst plausibel. Man erzeugt einen Markt für CO2-Zertifikate, die an Börsen gehandelt werden können. Wer CO2 erzeugt, muss Zertifikate kaufen, um seine Belastungen der Umwelt zu kompensieren. Wer CO2 einspart, also etwas Gutes tut, erzeugt ein solches Zertifikat und kann dieses gegen Geld eintauschen. Das hört sich nach einem coolen Anwendungsfall für einen Marktmechanismus an.
In der Realität muss der Staat dazu an vielen weiteren Stellen eingreifen: Das System funktioniert als Cap-and-Trade. Bestimmte Industrien erhalten Obergrenzen als Freigrenzen, die sie noch kostenlos an CO2 freisetzen können; oberhalb dieser Grenzen müssen sie am freien Markt Zertifikate kaufen. Andere Industrien können Kontingente über Versteigerungen erwerben. Als erstes wurden Industrie, Kraftwerke und Luftverkehr einbezogen, seit 2021 auch Wärmeerzeugung und Verkehr.
Es ist also kein wirklicher Markt. Zwar kann ein Zertifikat mit einer Tonne C02 an Börsen gehandelt werden. Auch reine Finanzpartner können jetzt Zertifikate kaufen, halten und verkaufen. Dieser Teil der Story ist schon ein realer Markt. Aber welches Produkt, welche Erzeugung und welcher Verbrauch genau gezählt und in das Marktsystem hineingezogen wird, das ist staatlich bestimmt.
Moderner Ablasshandel
Die EU bedient sich damit eines Konzeptes, das wir von der Kirche aus dem Mittelalter kennen. Sünde im Diesseits führt unweigerlich zum ewigen Verweilen im Fegefeuer. Durch Erwerb eines Ablasses konnten sich die Gläubigen von ihren Sünden freikaufen. Die dezentralen Einrichtungen wie Abteien oder Bistümer haben damit anfangs durchaus sinnvolle Infrastrukturprojekte finanziert. Als diese Art der Finanzierung immer mehr um sich griff, wurde der Ablasshandel vom Papst zentral organisiert und reglementiert. Heute können Unternehmen der Sünde des CO2-Verbrauches im hier und jetzt durch den Kauf eines Ablasses in Form eines CO2-Zertifikats entgehen. Die Reglementierung des Marktes übernimmt die EU.
Es ist ein Geschäft mit der Zukunft. Und das funktioniert nur so lange, wie die Menschen daran glauben. Aber die EU hat sich in eine Zwickmühle gebracht. Denn die Staaten erhalten anders als die kirchlichen Einrichtungen nicht die Einnahmen. Die Einnahmen erhalten Emittenten und die haben immer mehr Fantasie. Heute bekommen Waldbesitzer auf Basis der rechnerisch durch ihre Bäume gebundenen CO2-Menge Zertifikate, die sie an Börsen zu Geld machen können. Keine Ahnung, wem wir morgen das Drucken von Geld zugestehen müssen.
Wie wollen wir diesen Wahnsinn wieder stoppen, wenn wir nicht mehr daran glauben? Mit wieviel Milliarden Euro muss die EU und damit alle Staaten die Industrien wieder beruhigen und abfinden, die sich an den Geldregen gewöhnt haben?
Externalitäten lassen sich nicht einfach mit einem Preis versehen
Wir haben mit der Annahme, dass wir CO2 von einer Externalität zu einer bepreisbaren Größe machen, versucht das Allmende-Problem zu lösen. Auch andere Ansätze, bei denen wir im kleineren Maßstab versucht haben, Externalitäten zu bepreisen, sind gescheitert. Ebenso wenig durchsetzen konnten sich Konzepte, bei denen wir positive Externalitäten bepreist haben: Der Ansatz der Sozialrendite (SROI: Social return on investment) von William und Flora Hewlett lässt sich nicht skalierend umsetzen. Eben weil das direkte Bepreisen von positiven wie negativen Externalitäten immer davon abhängt, wo man die Systemgrenzen anlegt.
Mit Impact Investing und Impact Unternehmertum gibt es einen Ansatz, mit dem wir Externalitäten nicht direkt in Preise umrechnen und in einer Bilanz erfassen, sondern indirekt über einen Wertbeitrag dem Gesamtprodukt zurechnen. Auch hier stehen wir noch am Anfang. Aber das Modell scheint ein vielversprechender Ansatz zu sein, wie wir Anreize zur Vermeidung von Externalitäten in den Wirtschaftskreislauf hineinziehen können.
Irgendwann wird die Zuversicht und der Glaube an die Lösung des Treibhausgas-Problems mit C02-Zertifikaten aufhören und uns in eine tiefe Krise führen: eine wirtschaftliche Krise und eine Vertrauenskrise. Denn Politik und Staaten gelingt beim Versuch, Märkte zu schaffen eigentlich nur eines: Vertrauen in Märkte zu zerstören und Märkte zu manipulieren.