Die strategische Schlacht der Tech-Giganten um die Orchestrierung der Agenten
Vor über 40 Jahren revolutionierte SAP die Unternehmenswelt mit ERP-Systemen und schuf den Markt der ERP-Systeme. Darauf haben sich weitere sogenannte „Systems of Record“ (SoR) Systeme wie CRM oder MIS als digitales Rückgrat für die Prozessführung durch Menschen etabliert. Heute stehen wir erneut an einer Schwelle tiefgreifender Veränderungen: das Zeitalter der „Systems of Action“ (SoA) ist angebrochen. Intelligente KI-Agenten übernehmen zunehmend komplexe Aufgaben und handeln autonom – eine Entwicklung, die traditionelle Systems-of-Record Lösungen wie SAP, Salesforce oder auch Produktionsplanungssysteme radikal verändern wird.
Welche Plattformen setzen sich durch, und worauf sollten Unternehmer und Investoren jetzt setzen? Werden diese Plattformen in der Lage sein, menschliche Arbeit in breitem Umfang in Organisationen durch Agenten zu ersetzen?
Die Big Player im Kampf um den KI-Agenten-Markt
Vier große Anbieter kämpfen derzeit darum, zum neuen Standard für die Orchestrierung von KI-Agenten zu werden:
1. ServiceNow – Zentrale Steuerung und Offenheit
ServiceNow positioniert sich mit dem „AI Control Tower“ und „Agent Fabric“ als zentrale Steuerungsplattform für autonome KI-Agenten – und zwar über sämtliche Anbieter hinweg. Die Stärke dieser Lösung liegt darin, Agenten aller Hersteller standardisiert zu orchestrieren und dabei Governance- und Compliance-Anforderungen transparent umzusetzen.
ServiceNow punktet durch:
- Eine zentrale Governance-Plattform (Control Tower), die den Überblick über KI-Aktivitäten und deren ROI gibt.
- Offenheit durch das A2A- (Agent2Agent) Protokoll, das Agenten verschiedener Hersteller nahtlos integriert.
- Umfangreiche Partnerschaften (u.a. Box, Microsoft, IBM, Google), was für Unternehmen Vendor-Lock-in vermeidet.
2. Microsoft – Die integrierte KI-Plattform
Microsoft verfolgt mit Azure AI und Copilot-Tools eine integrierte Strategie. Es verbindet interne Anwendungen wie Microsoft 365 mit komplexen Multi-Agent-Workflows. Der Vorteil: tiefe Integration in die bestehende Microsoft-Welt.
Microsoft bietet:
- Integrierte Lösungen, eingebettet in Office- und Azure-Umgebungen.
- Eigene Frameworks wie Semantic Kernel für die Erstellung komplexer Multi-Agent-Systeme.
- Unterstützung offener Standards wie A2A, jedoch mit klarem Fokus auf Azure.
3. Google – Offenheit und Entwicklerfokus
Google setzt auf Offenheit. Mit dem Vertex AI-Agent Builder bietet Google umfangreiche Werkzeuge, um agentische Systeme zu erstellen, während „Agentspace“ eine benutzerfreundliche Oberfläche für die Verwaltung und den Einsatz dieser Agenten darstellt.
Der Google Ansatz:
- Maximale Offenheit und Entwicklerfreundlichkeit mit Open-Source-Tools wie dem Agent Development Kit (ADK).
- Ein standardisiertes, offenes Ökosystem, stark getrieben durch das Agent2Agent-Protokoll (A2A).
- Klarer Fokus auf Innovationsgeschwindigkeit und Community-Building.
4. IBM – Automatisierung und Kontrolle im Enterprise-Umfeld
IBM positioniert sich mit Watsonx Orchestrate als führender Anbieter für Enterprise Automation. Watsonx Orchestrate ist eng in die bestehende IBM-Umgebung integriert und konzentriert sich stark auf Governance und Compliance im Unternehmenskontext. Durch die Verbindung mit IBM Cloud, IBM Watson und umfangreichen Automatisierungsfunktionen bietet IBM eine robuste, zuverlässige Plattform für komplexe und regulierte Prozesse.
IBM punktet durch:
- Starke Integration mit IBMs etablierter Unternehmenssoftware (z.B. Watson AI, IBM Cloud).
- Umfangreiche Compliance- und Audit-Funktionen, die für streng regulierte Branchen essenziell sind.
- Fokus auf Enterprise-Prozessautomatisierung mit hohem Grad an Kontrollmöglichkeiten und Transparenz.
5. Salesforce – Agentforce für intelligentes CRM
Salesforce konzentriert sich mit Agentforce auf die intelligente Erweiterung seiner CRM-Plattform. Agentforce ermöglicht Unternehmen, KI-Agenten direkt in ihre kundenorientierten Prozesse wie Vertrieb, Marketing und Kundenservice einzubetten. Der Fokus liegt dabei auf personalisierten Kundeninteraktionen und der Verbesserung der Customer Experience durch autonome KI-Unterstützung.
Salesforce punktet durch:
- Tief integrierte KI-Agenten innerhalb des Salesforce CRM-Ökosystems, einschließlich Sales Cloud und Service Cloud.
- Robuste Datenschutz- und Sicherheitsmechanismen über den Einstein Trust Layer.
- Eine starke Orientierung auf Kundenprozesse und -erlebnisse, unterstützt durch generative KI-Modelle und nahtlose Workflow-Integration.
Neben den Big Playern gibt es noch eine Vielzahl von Startups und kleinere Unternehmen, die sich positionieren. Das Dilemma für Unternehmer und Investoren: Die Kosten saugen eine enorme Wertschöpfung aus den Unternehmen heraus. Wählt man kleinere und somit auch deutlich preiswertere Lösungen, so ist die Investitionssicherheit deutlich geringer.
Die Wissenschaft hinter der Agenten-Revolution
Aus wissenschaftlicher Sicht bauen diese Lösungen auf jahrzehntelanger Forschung von Multi-Agenten-Systemen (MAS) auf. Bereits seit den 1980ern beschäftigt sich die Forschung mit Agentenmodellen, Kommunikationsstandards (z.B. FIPA, ACL) und der Zusammenarbeit autonomer Systeme. Ein Kernproblem: Agenten müssen ihre Handlungen koordinieren, ohne dabei das große Ganze aus dem Blick zu verlieren.
Moderne Forschung (z.B. Stanford Virtual Lab, Generative Agents-Experimente) zeigt eindrucksvoll, dass Teams spezialisierter KI-Agenten einzelnen Agenten überlegen sind. Agenten können emergentes Verhalten zeigen, neue Lösungen finden und Prozesse massiv beschleunigen – aber auch Risiken bergen, wenn die Steuerung fehlt.
Ein wichtiges Forschungsfeld ist deshalb aktuell die Governance autonomer Systeme: Wie stellt man sicher, dass Agenten im Einklang mit menschlichen Werten und regulatorischen Anforderungen handeln? Wissenschaftler fordern transparente Kontrollmechanismen, menschliche Aufsicht und klare Regelsysteme – exakt jene Anforderungen, die ServiceNow, Microsoft, Google und Co. nun in ihren Orchestrierungsplattformen adressieren.
Rechtliche Rahmenbedingungen: Wer haftet, wenn KI entscheidet?
Die rechtliche Lage beim Einsatz autonomer KI in Entscheidungsprozessen ist aktuell unklar und stellt ein erhebliches Risiko für Unternehmen dar. Bei menschlichen Entscheidungen ist die Haftung klar geregelt: Unternehmen haften grundsätzlich für Fehler ihrer Mitarbeiter, allerdings in begrenztem Umfang und unterstützt durch Versicherungsschutz. Für KI gibt es bislang keine vergleichbaren Regelungen.
KI-Systeme agieren oft als „Blackbox“, wodurch es schwierig ist, Verantwortung klar zuzuordnen. Aktuell existiert weder in Deutschland noch in den USA eine eindeutige gesetzliche Grundlage, die Haftungsfragen für autonome KI-Entscheidungen regelt. Deshalb versuchen wir derzeit, KI-Entscheidungen durch Menschen formal „absegnen“ zu lassen – ein ineffizienter Ansatz, der echte Produktivitätsgewinne verhindert („Man-in-the-loop“-Ansatz).
Berufsverbände wie Ärztekammern oder Fluglotsenverbände erschweren durch ihre Blockadehaltung und durch vorgeschobene Argumente den notwendigen Fortschritt. Damit verhindern sie zugleich wichtige gesellschaftliche Produktivitätssteigerungen durch KI-Systeme. In den USA hingegen werden große Anbieter einfach Fakten schaffen. Dort ist die rechtliche Grauzone aufgrund der allgemein strengeren Haftungsprinzipien deutlich kleiner. Die USA werden somit agentenbasierte autonome Entscheidungssysteme schneller und pragmatischer adaptieren als Deutschland und die EU.
Deutschland könnte mit dem neuen Digitalministerium hier eine führende Rolle einnehmen. Es könnte klare, rechtssichere Rahmenbedingungen schaffen, Schnittstellen und Interoperabilität vorschreiben und so übergreifende Governance-Systeme ermöglichen. Damit könnten Unternehmen agentenbasierte KI-Systeme schneller und sicherer einsetzen.
Konkret bedeutet das:
- Schaffung rechtssicherer Rahmenbedingungen für autonome KI.
- Einführung klarer Haftungskonzepte, analog zu Regelungen für menschliche Fehler.
- Einrichtung verbindlicher Governance- und Compliance-Systeme für KI-Agenten.
- Förderung spezialisierter Versicherungsprodukte für KI-Risiken.
Ohne mutiges Handeln droht Europa erneut, im internationalen Wettbewerb zurückzufallen. Wir brauchen dringend klare und progressive Regelungen, um die enormen Produktivitätspotenziale von KI, Robotik und autonomen Systemen zu erschließen.
Welche Lösung wird gewinnen? Drei Szenarien
Unabhängig von den vorgestellten Lösungen der großen Big-Tech-Unternehmen gibt es für die Zukunft drei Szenarien, wie sich der Markt der Agenten-Orchestrierung entwickeln kann.
Szenario 1: Dominanz eines zentralen Orchestrators (ServiceNow-Modell)
ServiceNow könnte sich durchsetzen, wenn Unternehmen eine zentrale Kontrollinstanz bevorzugen. Die „Single-Pane-of-Glass“-Steuerung bietet enorme Vorteile bei der Kontrolle und Governance, vor allem in stark regulierten Branchen wie dem Finanzwesen oder dem Gesundheitssektor.
Szenario 2: Föderiertes Multi-Standard-Modell
Alternativ könnte eine föderierte Lösung entstehen, in der mehrere spezialisierte Orchestratoren (z.B. Microsoft für interne Prozesse, Salesforce für CRM, Google für Suche und Wissensmanagement) parallel betrieben werden. Voraussetzung dafür: Die breite Akzeptanz offener Standards (wie A2A), die eine Zusammenarbeit ermöglichen.
Szenario 3: Dezentrale Autonomie mit Open Source
Eine dritte Option wäre eine dezentrale, autonome Steuerung. Unternehmen könnten mit Open-Source-Technologien eigene, maßgeschneiderte Agentensysteme bauen und flexibel anpassen. Dieses Modell wäre kostengünstig, erfordert aber umfangreiche interne Kompetenzen.
Ob wir also Szenario 1 mit erdrückender US-Übermacht einer weiteren US-Plattform sehen, oder einen echten Produktivitätssprung in unserer Volkswirtschaft durch Szenario 2 oder 3 sehen werden, hängt auch vom Staat und seiner Fähigkeit ab, digitale Transformation in Zukunft sinnvoll mitzugestalten. Hinzu kommt die Notwendigkeit, den dazu notwendigen Rechtsrahmen zu schaffen.
Werden KI-Agenten menschliche Arbeit breitflächig ersetzen?
Die große Angst vieler Arbeitnehmer lautet: Werden KI-Agenten die Vielzahl aller Jobs schlucken? Die kurze Antwort: Nicht alles, aber deutlich mehr, als uns lieb sein könnte.
Fakt ist, KI-Agenten übernehmen schon heute Routineaufgaben schneller, günstiger und präziser als Menschen. Wer sich fragt, ob KI im Kundenservice, IT-Support oder bei einfachen administrativen Abläufen bald zum Standard wird, hat die Frage schon beantwortet. Diese Tätigkeiten stehen unmittelbar vor der Disruption.
Natürlich hat KI heute noch Grenzen, besonders wenn es um komplexe, kreative oder stark emotionale Jobs geht. Aber Vorsicht: Diese Grenzen verschieben sich schneller als die Streamingdienste den Kabel-TV-Markt übernommen haben.
Generative KI und Sprachmodelle sind auf dem besten Weg, nicht nur einfache Aufgaben, sondern ganze Berufsprofile wie Juristen, Marketingmanager und Analysten massiv zu verändern.
Unternehmen sollten deshalb schleunigst anfangen, weniger über kurzfristige Effizienzgewinne und mehr über langfristige Strategie nachzudenken. KI ersetzt nämlich nicht nur Aufgaben, sondern verändert auch grundlegend die Frage und Entscheidung, welche Fähigkeiten künftig gefragt sind. Wer diesen Wandel nicht frühzeitig erkennt und entsprechend handelt, riskiert, dass KI nicht nur einzelne Arbeitsplätze, sondern ganze Unternehmen überrollt. Unternehmen, die jetzt die richtigen Kompetenzen fördern – vor allem Management, kreative Problemlösung und strategische Steuerung – werden Gewinner der nächsten Dekade sein. Alle anderen sollten sich warm anziehen.
Fazit: Welche Firmen und Konzepte gewinnen, entscheidet auch die Regulierung
Wir sind heute in derselben spannenden Phase wie 1998 bis 2002 mit dem Internet-Zeitalter und dem entstehenden Webbereich. Es gibt – wie damals auch – enorme Erwartungen, schon eine ganze Menge Hype und eine Menge der zukünftigen Gewinner in diesem damals eher 20-Jahres-Rennen sind schon am Start. Aber man konnte die Unternehmen eben auch 2002 noch nicht klar als Gewinner zu erkennen. Interessanterweise konnte sich 10 Jahre später aber auch kein neuer Player mehr in die heutigen Top10 vorarbeiten.
Aber ja, es werden auch noch viele Unternehmen aussortiert werden, die am Anfang des Internetbooms noch top positioniert waren (wie Netscape oder Yahoo,) die aber heute kein 20-Jähriger mehr kennt.
Die Internet- und Webtechnologie hat uns in Europa unerwartet getroffen und wir sind gesellschaftlich von der Silicon-Valley-Attitüde des „einfach Machens“ überrollt worden. Es gab weder am Anfang der Welle – in den frühen 2000er-Jahren – noch 15 Jahre später ernstzunehmende rechtliche Rahmenbedingen für Verbraucher. Die EU-Regulierung, die die großen Techplayer ein wenig zügeln kann, ist erst in den letzten Jahren und damit mit fast zwanzig Jahren Verspätung entstanden.
Anders als damals, wird die Entwicklung von autonomen KI-Agenten in Europa wegen der starken Regulierung von Arbeit in Bezug auf Haftung schon jetzt gebremst. In den USA sind die nicht vorhandenen Regelungen aufgrund eines anderen Haftungsregimes deutlich geringer.
Wenn wir in Europa für die KI-Haftung und für das Trainieren von Modellen nicht sehr schnell vernünftige politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen finden, werden wir das enorme Potenzial zur Produktivitätssteigerung in Deutschland und Europa nicht nutzen können. Damit wären wir auf dem Weltmarkt mit unseren Erzeugnissen abgehängt!
Ich wünsche mir von unserem Digital- und Wirtschafts-Ministerium klare Impulse, für eine KI-Governance, mit der wir diesen Wandel zum Einsatz von KI-Agenten in allen Industrie- und Wirtschaftsbereichen in Deutschland vorantreiben können.