Was sich wirklich für uns Menschen im Umgang mit Technologie und Maschinen ändern wird
Technologie ist unserem Verständnis nach ein Werkzeug, wie ein Spaten oder ein Messer. Auch Steve Jobs hatte dieses Bild im Kopf, als er vom Computer als Fahrrad für unseren Geist sprach. Aber dieses Bild passt in mehrfacher Hinsicht schon lange nicht mehr für technologische Systeme wie ein CRM (Customer-Relationship-Management), eine Arbeitsstation in einem modernen Fertigungsprozess oder KI und Robotik. Ja es gibt sie noch, die Werkzeuge wie Sägen, Akkuschrauber und Gabeln, mit denen wir als Menschen etwas schneller oder besser machen können, was wir ohne diese Werkzeuge nicht hätten tun können. Wir empfinden diese Werkzeuge als echte Ergänzungen oder Erweiterungen unserer Fähigkeiten! Und sie sind es in der Tat.
Technische Systeme reduzieren den menschlichen Handlungsraum
Was wird anders, wenn wir aus einzelnen Werkzeugen ein technisches System wie ein CRM oder eine Fabrikationslinie in einer Fabrik bauen? Der Mensch setzt dann nur noch die Dinge um, die noch nicht von den technischen Systemen erledigt werden können. Mit diesem technologischen Fortschritt machen wir den Kompetenz- und Handlungsraum für Piloten im Cockpit, Ärzte in unserem westlichen Gesundheitssystem oder Fabrikarbeiter langsam aber sicher kleiner. Denn das relevante Wissen steckt im Gesamtprozess und den wollen wir skaliert, hochautomatisiert und zuverlässig, also effizient, ablaufen lassen. Am liebsten ohne den störenden und häufig unzuverlässigen Menschen.
Economies of Scale und Effizienz haben unser Weltbild geprägt
Aber was haben wir als Menschheit, als Ingenieure daraus gemacht?
Erst haben wir Werkzeuge erschaffen, mit denen ein einzelner Mensch Dinge tun kann, oder mit denen er Dinge schneller erledigen kann (, beispielsweise Hammer, Rasenmäher oder Bagger).
Dann haben wir Systeme erschaffen, mit denen wir in kürzerer Zeit Gruppen von Menschen dazu bewegen können, noch viel mehr zu erledigen, als mit einzelnen Werkzeugen möglich gewesen wäre – viel reproduzierbarer, mit gleich guter Qualität und skalierter. Beispiele dafür sind unsere Fabriken, die Eisenbahn als System, Schulen und Krankenhäuser.
Und so ging schrittweise die Entwicklung einher, dass wir Menschen nur noch die Resttätigkeiten erledigen, die noch nicht von Maschinen erledigt werden können. Den Einbau von Türen in der Autoproduktion zum Beispiel machen bis heute menschliche Teams. Den Roboter dazu gibt es noch nicht, aber wir arbeiten daran.
Das Tragische ist, dass das gleiche Paradigma auch für die Menschen gilt, die die Fabrik planen. Auch CAD-Planer oder Fertigungsingenieure machen nur den Part als Mensch, den ein Planungs- oder Simulations-Tool noch nicht erledigen kann. Diesem für uns Menschen so tragischen Effizienzsystem kann heute niemand entrinnen!
Dann kam das Silicon Valley und hat ein neues Paradigma geschaffen
Anfang der 2000er Jahre haben Menschen in Kalifornien für die Consumer-Welt dann ein neues Paradigma erfunden. Sie haben digitale Produkte und Services designed, die eine Aufgabe erledigt und sich wie Werkzeuge angefühlt haben, die wir wiederum wie einen Hammer oder eine Gabel selbst nutzen konnten. Zuerst die Google-Suche und ein kostenloses Mailprogramm, dann komplexere Dinge, wie den Kauf Büchern über das Internet, dann eCommerce oder die online Reisebuchung.
Die wichtigste Neuerung war: Die neuen Produkte und Services waren nicht integriert und wir konnten mit den neuen digitalen Werkzeugen in der vor allem nicht digitalen Welt immer nur einen kleinen Schritt gehen. Dann waren wir Menschen wieder die Schnittstelle in die physische Welt, der millionenfache Adapter des Silicon Valley in die Realität. So haben wir ihnen in den letzten Jahren geholfen, die Welt zu digitalisieren. Wir waren die Schnittstellen von der digitalen in die reale Welt.
Das Silicon Valley hat über 20 Jahre die am wenigsten inklusiven – und damit nicht den Menschen in den Mittelpunkt stellenden – Dienste gebaut. Inzwischen haben die großen Techfirmen damit mehrere Milliarden Benutzer und mehr als 60% der Weltbevölkerung als User zu Kunden ihrer Systeme gemacht.
Das ist brutalste Skalierung, bei dem heute der einzelne User nur noch ein unendlich kleines Rad ist. Bedingt durch Social Media, KI und Datenvernetzung „verstehen“ die Maschinen jetzt im Consumer- Bereich den einzelnen Menschen so gut, durchschauen deren Denkweisen so effizient, dass er zum Spielball der Algorithmen wird.
Tragisch.
Der Buchdruck als Technologie-Mahnmal
Der letzte riesengroße Umbruch der Wissensspeicherung und -verteilung vor der Google-Suche war der Buchdruck. Der Buchdruck hat heute noch etablierte Formen wie Zeitungen und Bücher geschaffen, Bibliotheken als Speicher des Wissens. Damit sind wir als Kinder in einem stabil erscheinenden System aufgewachsen. Es gab Universitäten, Lektoren, Redaktionen, Verlage – ein System zur Stabilisierung von Wissen, Meinung und deren Verbreitung.
Bevor der Buchdruck Aufklärung, Rationalität und mehr Wissen bei mehr Menschen sowie stabilisierende Elemente hervorgebracht hat, hat er die Welt erstmal unsicherer und instabiler gemacht. Das Werk „Malleus Maleficarum“, veröffentlicht 1487 von Heinrich Kramer und Jacob Sprenger, diente (durch den Buchdruck massenhaft verbreitet) als eine Art Handbuch zur Identifizierung, Verfolgung und Bestrafung von Hexen. Dadurch konnte die Hexenverfolgung europaweit standardisiert und skaliert werden.
Ungefähr an diesem Punkt stehen wir heute mit Social Media, Nudging, unseren Computerspielen und den Large-Language-Modellen.
Die Frage ist: Kommen wir in ein positives KI- und Robotik-Zeitalter, ohne uns erneut zu viele Jahre mit der Verbrennung von Hexen zu beschäftigen?
Warum erkennen wir die positiven disruptiven Möglichkeiten von KI und Robotik nicht?
Es gibt zwei absolut positive Dinge, über die wir beim Thema KI und Robotik viel zu wenig sprechen:
- Wie wird KI unseren Umgang mit Maschinen verändern?
- Was bedeutet es, wenn informationsverarbeitende Maschinen, also Computer, Körper haben werden und die Welt sehen, hören und begreifen werden?
Ich kann jedem einzelnen nur empfehlen, eigene Erfahrungen mit LLMs zu machen und Dinge auszuprobieren. Die Oberflächen von ChatGPT, Perplexity oder Claude haben keinen Suchschlitz à la Google, es sind Dialogwerkzeuge. LLMs benötigen Kontext. Sie suchen nicht nach Faktenwissen für uns, sie sind nicht dafür da, die Frage zu beantworten, wo das höchste Gebäude der Welt steht.
Wie wird KI unseren Umgang mit Maschinen verändern?
Sie haben keine Meinung, können die eigene Intention des Users aber versuchen zu erkennen und werden diese dann verstärken. Der Begriff Prompt Engineering ist völlig ungeeignet, um zu begreifen, dass die Maschinen einem aus nahezu allen Wissensgebieten Input geben. Wir haben Zugriff auf Methodologien, Ontologien und Semantiken aus nahezu allen Wissensbereichen der Menschheit. Wir müssen nur verstehen, wie wir uns dieses Wissen durch die Aufgabenstellung, den Kontext und Fragen in iterativer Form erschließen können, um völlig neue Perspektiven auf scheinbar bekannte Sachverhalte zu erhalten.
In diesem Wissensdialog erfolgt faktisch ein Sparring, ein Coaching – denn der Mensch ist auf Lernen, Begreifen und Gestalten im Dialog konstruiert. Und genau in solchen Dialogen kann der Mensch sein Bewusstsein, seinen Willen zum Wollen, seinen Gestaltungswillen ausleben und nutzen. Diese Ebene haben die LLMs nicht, auch wenn sie ab sofort auch schlussfolgern und argumentieren können.
Aber den Sinn zur Handlung, den Bezug zur Welt, geben wir Menschen ihnen. Und damit schließt sich der Kreis: Die Maschinen sind wieder ein Werkzeug, ein echtes Fahrrad für den Geist. Wir müssen es nur erkennen und nutzen!
Wir werden uns an den Dialog mit Maschinen gewöhnen (müssen)!
Die Vorbereitung auf eine mündliche Prüfung in einem Mathestudium kann heute komplett mit LLMs erfolgen. Angefangen mit der Erstellung von Prüfungsfragen, dem gesamten Prüfungsdialog bis hin zu Feedback, mit Benotung und Verbesserungsvorschlägen. Ebenso machbar ist die Vorbereitung komplexer Sitzungen für fast jede Rolle und Branche, mit Analyse von Unterlagen, Einnahme von Positionen verschiedener Teilnehmer, einer Empfehlung für Abläufe und einem Coaching zur Einwandbehandlung bei der eigenen Argumentation.
Wir müssen nur lernen, die Maschinen für uns zu nutzen. Dazu müssen wir mit der Maschine, präziser den LLMs, in Dialog treten.
Es geht nicht mehr um statisches Wissen, Wissensbäume oder Lösungswege für vorgefertigte Aufgaben. Es geht um die Anwendung von nahezu beliebig abrufbarer Methodenkompetenz auf unsere persönlichen und individuellen Situationen.
Es geht darum, einen Dialog zu führen, den wir als Mensch gestalten, in dem wir als Mensch den Takt vorgeben. Wir lassen die Maschine Vorschläge machen, wir suchen aus Alternativen aus und übernehmen dadurch als Mensch wieder den aktiven Part. Noch nie in der Menschheitsgeschichte konnten wir in dieser Form mit Maschinen umgehen. Es wird Zeit, dass wir uns aus der Sklaverei, der bisher von uns erschaffenen Systeme befreien und unsere Autonomie im Dialog mit den Maschinen wieder zurückerlangen.
Und jetzt bekommen diese Maschinen Körper
Es ist eine Revolution, die gerade ganz still geschieht, weil niemand darüber spricht. Aus einem Roboter 1.0 in einem Fertigungsprozess, dem wir genau und bis ins kleinste Detail sagen mussten, was er tun soll, wird gerade ein “selbstwahrnehmender” Roboter.
In Zukunft wird der Aufbau einer neuen Produktionslinie für ein neues Automodell nicht mehr fünf Jahre dauern. Wir werden den Maschinen im Dialog Teilaufgaben erklären können. Sie werden Tätigkeiten wie Kollisionsvermeidung und viele andere Basisfunktionen wie Schweißen, Picken oder Lageerkennung als eine Grundfunktion haben, die nicht mehr einzeln und mühsam programmiert werden muss.
Maschinen lernen, sich in menschlichen Räumen zu bewegen
Humanoide Roboter lernen gerade Türen zu öffnen, Treppen zu steigen und sich in einer Wohnung zu orientieren. Sie fangen an, ihre Umgebung wahrzunehmen, indem sie Objekte labeln und damit klassifizieren können. Sie können sich nicht nur im Raum orientieren, sondern werden über Sensoren eine Selbstwahrnehmung besitzen, die das Ergebnis eigenen Handelns als Feedbackimpuls nutzt.
Humanoide sind die logische Konsequenz, wenn wir LLMs mit Maschinenkörpern verbinden. Sie sind logische Konsequenz für Maschinen, die sich in einer für Menschen gemachten Umgebung mit für Menschen geeigneten Treppenstufen, für Menschen angebrachten Fernstern und Türen bewegen und interagieren können.
Auch mit diesen Humanoiden werden wir uns im Dialog unterhalten können. Sie werden Wissen von uns übernehmen können.
Wir können hoffen, dass wir schon in absehbarer Zeit Humanoide erleben werden, die uns davon befreien, dass wir als Menschen die Resttätigkeiten übernehmen müssen, die nicht von Maschinen, Robotern oder Humanoiden erledigt werden können.
Bleibt zu hoffen, dass genau wir als Generation all dieses Positive und Neue im Umgang mit Maschinen erleben und nicht zunächst eine Zeit der Hexenverfolgung überwinden müssen!