Wie schaffen wir unsere Realität?

3. August 2022

Von Macht, Wertschätzung und Ersatzbedürfnissen

An den vorlaufenden Aktienmärkten scheint die erste Welle der Tiefschläge vorbei. Jetzt folgt die Realität mit schlechten Meldungen aus den Unternehmen. In Europa hat die EZB als Notenbank sich vollends zum Handlanger der Politik gemacht und will mit TPI (Transmission Protection Instrument) den Zinsspread verringern und damit den Zins für die schwachen Länder der Eurozone unter den Marktpreis drücken. Die FED will mit deutlichen Zinserhöhungen die eigene Handlungsfähigkeit wieder herstellen. Der Krieg tobt weiter und wir in Deutschland ereifern uns darüber, wie wir den gestiegenen Gaspreis vergesellschaften können. Die Stunde der wahren Prepper hat geschlagen und elektrische Heizlüfter werden zur Mangelware. Ist das wirklich unsere Realität?

Ich selbst war in den letzten Wochen im Urlaub und habe mich beim Wandern, Nachdenken und Lesen unvermutet an der Seitenlinie des Stroms aus Nachrichten und Meldungen wiedergefunden. Auf einmal schien ich Zuschauer, wo ich mich vor ein paar Wochen noch als aktives Mitglied der Gesellschaft gefühlt und verortet habe.

Bei dem meisten, was wir Menschen tun, scheint es um Macht und oder Geld zu gehen. Das bestätigt Julie Battilana indirekt in ihrem Buch „Power for all“ durch die These, dass sich alles Menschsein auf zwei Grundbedürfnisse zurückführen lässt: „Wir wollen uns vor Gefahren schützen und wir sehnen uns nach Bestätigung und Beachtung. Das Bedürfnis nach Sicherheit und das Bedürfnis nach Wertschätzung sind so grundlegend, dass sie Machtverhältnisse über Zeit und Raum hinweg bestimmen.“

Aber wie entsteht Macht und Geld-Wert?

Wert hat oder bekommt das, was wir der Sache als Gemeinschaft zusprechen. Dies ist von Autoren wie Jens Beckert, Wolfgang Streeck oder auch Mariana Mazzucato in vielen Facetten untersucht worden. Wert, egal ob an digitalen Börsen in Echtzeit ermittelt, oder direkt zwischen Menschen verhandelt, ist ein soziales Konstrukt.

Das universelle Tauschmittel, nämlich Geld, erklären wir zum Ersatz-Ziel unserer Bedürfnisse. Schaffen tun wir es nicht vor allem mit unseren Händen und unserer Arbeit, sondern mit unserer Kommunikation. Wir „erklären“ zum Beispiel bestimmte Marken für wertvoller und akzeptieren, dass wir dafür mehr bezahlen müssen als für andere Marken.

Ganz ähnlich ist es bei der Macht. Battilani schreibt: „Um Macht über jemand anderen zu haben, muss man zunächst über etwas verfügen, das die andere Person schätzt. Alles, was ein Mensch braucht oder haben will, ist eine wertvolle Ressource. Die Ressource kann materieller Natur sein, wie Geld oder sauberes Trinkwasser, fruchtbares Ackerland, ein Haus oder ein schnelles Auto. Oder sie kann psychologischer Natur sein wie beispielsweise Wertschätzung, Zugehörigkeit und Leistung.“

Macht entsteht also durch eine soziale Beziehung zwischen mindestens zwei Menschen und die Art und Weise wie diese Beziehung gemanagt wird. In ihrem Buch beschreibt Battilani, wie wir Macht positiv gestalten und nutzen können und wie wir uns gegen schlechte Machstrukturen wehren können.

Unsere Realität von Zwängen und Handlungsmustern besteht sicher zu einem großen Teil aus der uns umgebenden physischen Welt und den Regeln, die wir uns als Gemeinschaften und Organisationen geben. Aber eben auch aus den letztlich durch soziale Interaktion geschaffenen Wert- und Machtverhältnissen.

Wir Menschen schaffen uns unsere Lebensrealität also durch Regeln und Gesetze und einer direkten Bedürfnis Erfüllungs-Realität aus sozial geschaffenem Wert und Macht.

Wieso tun wir uns das an?

Wenn unsere Grundbedürfnisse also Sicherheit und Wertschätzung sind, wieso handeln wir dann nicht danach?

Wieso schaffen wir mit Macht und Geld-Wert zwei komplexe soziale Mechanismen, die wir dann als primären Ersatz für unsere eigentlichen Grundbedürfnisse weiterverfolgen?

Es geht nicht um ein „Zurück auf die Bäume“. Aber die Dummheit oder unsere Naivität, mit der wir versuchen, unsere biologisch angelegten – und nicht zu leugnenden – Grundbedürfnisse durch mittels sozialer Interaktionen geschaffenen Ablenkungen zu befriedigen, ist schon fast grotesk.

Verzweifeln sollten wir daran nicht. Jetzt, wo ich beginne zu verstehen, was mich mit ein wenig Abstand während des Urlaubs zum Betrachter hat werden lassen, bin ich wieder etwas positiver gestimmt. 

Eine schnelle Lösung ist sicherlich in weiter Ferne, aber ein Verstehen der Situation hilft dabei, nicht zu verzagen.

Quelle: https://unsplash.com/photos/nPz8akkUmDI
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