Die Macht von Informationen und KI auf unsere Entscheidungen

21. November 2023

Die Illusion von freier Entscheidungsfindung

Als Gastronom, Hotelier oder Schauspieler weiß man es ganz genau:  Egal wie sehr man sich anstrengt, um seine Bestleitung zu erzielen, tragen die Worte eines Kritikers das meiste Gewicht. Man arbeitet bis zu Ermüdung und rackert sich Tag für Tag ab, doch am Ende zählt die Meinung desjenigen, der selbst scheinbar keine Leistung bringt und nie ein Risiko tragen musste. Ein Kritiker hat die Macht, ein Restaurant, ein Hotel oder eine Inszenierung zum Erfolg zu bringen, oder zu vernichten – ohne selbst auch nur einen Finger dafür zu krümmen. 

Das hat schon Theodore Roosevelt, der Ex-US-Präsident in einer Rede 1910 beklagt und versucht, sich auf die Seite der tapferen Macher und Gestalter zu stellen: „Es ist nicht der Kritiker, der zählt. Nicht der, der süffisant kommentiert, wie der Wagemutige strauchelt, und besser weiß, wie der Macher es hätte machen sollen. Die Anerkennung verdient der Mann, der sich persönlich in die Arena wagt, dessen Gesicht von Staub, Schweiß und Verletzungen gezeichnet ist.“

Wer Informationen erschafft oder lenkt, hat Macht über die physikalische und soziale Welt sowie unsere lokalen und internationalen Finanzsysteme. Das gibt ihm so viel von dieser Macht, dass er auch die Menschen, deren Existenz und Umstände von diesen Informationen abhängen, lenken kann. Während es sich bei diesen Personen vor einigen Jahren noch um Kritiker, Journalisten oder Medienstars handelte, sind es heutzutage faktisch die Algorithmen der großen Big-Tech-Giganten wie Facebook, Google und TikTok, die Content verstärken und lenken.

Ein Großteil unserer Aufmerksamkeit wird nicht mehr von der physischen Realität der Umgebung wie Familie, Arbeit, Vereinen, Ehrenamt oder Freunden geprägt, sondern von mehreren Stunden Social-Media-Konsum pro Tag. Das betrifft besonders die unter 30-jährigen – also die Eltern, die Lenker, die Gestalter und die Führungsgeneration der Zukunft. In Deutschland nutzen 95 Prozent von ihnen TikTok, Instagram und Co und das mit einem Schnitt von 3,5 Stunden pro Tag. Wer diese Menschen erreichen will, hat auf Social-Media-Kanälen also ein ziemlich leichtes Spiel. Die klassischen Medien wie TV, Filme, Serien, Zeitungen oder Magazine, stehen dabei genauso im Schatten, wie die reale Welt. Die virtuelle Welt, geprägt von Social Media, hat vor allem die jungen Generationen faktisch unter Kontrolle und bestimmt nahezu jede Minute am Tag, die nicht mit Arbeit, Essen oder Schlaf gefüllt ist.

Wie frei treffen wir unsere Entscheidungen?

Entscheidungen werden nicht im Internet gefällt, sondern bis heute in den Köpfen der Menschen. Daran kann selbst Social-Media nichts ändern. Die Frage ist jedoch, inwiefern diese digitalen Medien die Macht haben, unsere Entscheidungen zu beeinflussen. Wurde die Entscheidung, die wir vor einem Bildschirm fällen, wirklich frei gefällt? Oder wurde unsere Realität auf dem Weg zur Entscheidung so beeinflusst, dass auch unsere Entscheidung faktisch als mindestens beeinflusst gelten muss. Gerade wenn Neuromechanismen wie Nudging genutzt werden, kann faktisch von Manipulation gesprochen werden. Dabei erfolgt eine Verkürzung von Informationsvielfalt auf ein paar Suchergebnisse, die dann noch mit Kontextwerbung vermischt werden.

All das es zeigt, wie social Media unsere menschlichen Hirne gehackt hat: Wir haben erlaubt, dass sich Monstren zur Organisation von Communities bilden, getragen zum einen von den Content-Creatoren und zum anderen von den Informationskonsumenten. Egal ob Sender oder Empfänger – wir ordnen uns dem Diktat des Systems, also dem Plattformalgorithmus, unter. Die einen erhalten soziale Anerkennung für die Erzeugung, die anderen „dürfen“ dabei sein. Mit diesem, eigentlich künstlichen Prozess erzeugen wir Realität, weil wir Menschen zwischen der physischen Welt und dieser eigentlich künstlichen Realität nicht unterscheiden können.

Wie wichtig ist der scheinbar offensichtliche Preis für Entscheidungen?

Aber auch ein anderer Mechanismus zur scheinbaren Vereinfachung und Vorbereitung von Entscheidungen ist weit verbreitet. Wir geben Optionen einen Preis und bilden damit einfache Entscheidungs-Hierarchien. Dabei ist auch dieser Preis im Detail sehr komplex, weil er auf unterschiedliche Hirnareale unterschiedlich wirkt: Um sozialen Status zu erreichen, wollen wir eine möglichst teure Handtasche, die man am besten auch nichtgefälscht bekommen kann. Bei den meisten anderen Dingen wollen wir den günstigsten Preis. Das ist bei einem Kuli und einem genormten Artikel wie einer Schraube ok, aber nicht bei einem komplexen und vernetzen System. Autos sind so mittendrin: Sie repräsentieren Mobilität aber eben auch sozialen Status. Apple CarPlay und GoogleCar zeigen den menschlichen Wahnsinn am besten: Bedienen wollen wir alle Autos möglichst bequem in gleicher Form, aber von außen soll es dann doch nach was Besonderem aussehen. Es soll demonstrieren, dass man sich das bessere Modell leisten konnte.

Entscheidungen in einer vernetzten Welt der Zukunft mit KI

Wir messen die Luftqualität in jedem Raum, überwachen wie ein Fahrer den Augenkontakt zur Straße hält, geben jeder Glühbirne eine IP-Adresse, um sie von jedem beliebigen Ort auf dem Planeten ein- und ausschalten zu können. Das alles machen wir unter dem Vorwand Qualität zu verbessern, Effektivität zu erhöhen, Kosten einzusparen, Zeit einzusparen. Drüber hinaus soll das alles Leid reduzieren, Ressourcen schonen, Krankheiten heilen oder unsere Zufriedenheit erhöhen. Die komplette physische Welt wird vernetzt sein – aber was machen wir mit diesen Milliarden neuer Datensätze, die wir schon heute jeden Tag erfassen und nur noch automatisiert über KI verarbeiten und bewerten lassen können?

In einer immer stärker vernetzten Welt mit KI-Unterstützung werden wir Entscheidungen in Zukunft auf Basis der besseren Integrierbarkeit in unsere Smartphone-, Smarthome- und Smartwatch-Welt vornehmen. Wir werden Empfehlungen zu den Auswirkungen auf unsere Gesundheit, unser Unfallrisiko und mit Sicherheit auch auf unseren Sozialstatus erhalten und diese Aspekte in unsere Entscheidungen einbeziehen. Vielleicht werden wir auch eine Info zu den Auswirkungen unserer Entscheidung auf unseren Planeten, unsere Ökosystem und unsere Mitmenschen bekommen.

KI verengt den Blick auf die Realität

Solche KI-Unterstützung findet schon heute in Form von Autovervollständigung und immer besser gemachten Vorschlägen in Dialogsystemen statt. Was uns dabei unklar ist: Schon durch die Auswahl an Kriterien, die wir zur Beurteilung der Informationen zulassen, bestimmen wir einen Teil des Ergebnisses. Egal ob wir als Kriterium den Preis oder ein anderes Bezugssystem wählen, KI hilft uns mehr Entscheidungen pro Zeiteinheit in scheinbar immer komplexeren Zusammenhängen zu fällen.

Das mag sich erstmal gut und selbstbestimmt anfühlen – aber faktisch wissen wir in solchen KI-gestützten Umgebungen nichts mehr über die Realität. Die Daten sind so umfassend aufbereitet worden, dass unsere Rationalität faktisch keine Grundlage mehr hat. Verstärkt wird diese Entfremdung unserer Entscheidungen von unmittelbaren Wahrnehmungen über unsere Sinne durch die direkte Korrelation von aufbereiteten Informationen zu sozialem Status (likes) und Preisen.

Wem können wir noch trauen?

Haben uns früher Leitmedien mit Redakteuren und Politiker aus Fleisch und Blut durch die noch nicht digitale Welt geführt und gelenkt, so bestimmen heute vor allem Algorithmen darüber, welche Nachrichten wir wann sehen.

Die Zeitskala zur Anpassung von Narrativen und Memes verändert sich dadurch von Monaten bis Jahren auf Tage bis hin zu Stunden.

Aber durch die großen Sprachmodelle haben wir seit diesem Jahr eine neue Herausforderung, die uns alle betrifft: Wir wissen nicht mehr, ob wirklich ein Mensch, oder nicht doch inzwischen eine Maschine den Text und die gesamte Geschichte erzeugt hat.

Wir haben mit den großen generativen Sprachmodellen eine Technologie entwickelt, die scheinbar menschlichen Content für Filme, Bücher, Zeitungen, Medien Fernsehen und social Media erzeugt, den die meisten von uns nicht mehr von echtem menschlichem Content unterscheiden können. Objektiv gesehen kann dieser sogar durchaus besser sein als so mancher menschlich erzeugte Inhalt. Und jetzt wärmen sich unsere Gefühle und Empfindungen an Inhalten, von denen wir ab sofort nicht mehr wissen, ob sie überhaupt menschlichen Ursprungs sind. In welche grundsätzliche Krise wird das unsere Spezies treiben? Was passiert, wenn wir nicht mehr wissen, was menschlich real und was technisch real oder virtual ist? Oder sind wir schon so überfordert, dass wir diesen Punkt als Menschheit gar nicht mehr begreifen können?

Auf jeden Fall brauchen wir die Technologie auch, um all diese Unordnung wieder in Ordnung zu bringen. Wir nutzen KI zum Erzeugen von technischem Content, der nicht von menschlichem zu unterscheiden ist und brauchen dann KI zur Ordnung des Chaos, welches wir mit den vielen neuen Eindrücken und Informationen angerichtet haben.

Sind wir überhaupt noch frei, wenn wir so viele Parameter einordnen können oder müssen? Oder müssen wir in Zukunft nicht einfach froh sein, wenn wir überhaupt die Illusion einer Entscheidung haben?

Quelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/mann-der-schwarzes-und-blaues-maskenkostum-tragt-1473215/
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