Wissens-Exzellenz oder die totale Tool-Effizienz als Leitbild für Service- Prozesse?
Die Zukunft des B2B-Service-Managements steht vor einer entscheidenden Weichenstellung: Werden Service-Center durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) überflüssig, indem Tool-Anbieter wie Microsoft eine KI ganz nah an Daten und Prozesse heranbringen? Exakt so, wie es Satya Nadella in seiner KI-First-Vision vorschwebt? Oder verhilft KI dem Shift-Left-Ansatz zur weiteren Verbreitung?
Das könnte geschehen durch die Verlagerung komplexer Aufgaben in frühere und kundennahe Prozessstufen, indem Service-Mitarbeiter mit mehr Fachwissen ausgestattet werden, um auch komplexe Probleme schneller, effizienter und kundennäher zu lösen. In diesem Fall würden sich Service-Center zu hochspezialisierten Wissenszentren entwickeln. Diese würden Expertenwissen bündeln und weitergeben – unterstützt, aber nicht ersetzt durch KI!
Effizienz oder Expertise? Diese Frage bewegt Unternehmen und Investoren gleichermaßen. Während KI das Potenzial hat, standardisierte Service-Prozesse zu automatisieren, wächst in komplexen B2B-Umfeldern der Bedarf an individueller Betreuung und tiefgehendem Domänenwissen. Kann der Shift-Left-Ansatz diese Anforderungen erfüllen und gleichzeitig Effizienzgewinne erzielen?
Für Unternehmer und Investoren ist der Blick in die Zukunft besonders wichtig: Ist heute schon absehbar, welcher Weg sich durchsetzen wird? Ist heute bereits klar, was die Veränderungen perspektivisch für Unternehmen bedeutet, die in diese Technologien investieren?
Agenten als neue Service-Helden – nur für standardisierte Aufgaben?
Die Automatisierung technischer B2B-Prozesse verspricht radikale Effizienzgewinne. Besonders in Branchen mit standardisierten, klar definierten Abläufen ist diese Vision keine Vision mehr, sie ist bereits Realität:
- Standardisierung und Self-Healing-Systeme: Prozesse wie IT-Support und Cloud-Dienste lassen sich durch KI nahezu vollständig automatisieren. Selbstlernende Systeme erkennen Fehler nicht nur, sondern beheben sie eigenständig – bevor der Kunde überhaupt merkt, dass ein Problem existiert hat.
- Kostenreduktion und Skalierbarkeit: Automatisierung spart Personal- und Infrastrukturkosten. Gleichzeitig kann KI auch Anfragen im konkreten Kontext einer Bedienerführung in Echtzeit bearbeiten und ohne zusätzliche Investitionen skalieren, was besonders bei hohem Anfragevolumen attraktiv ist.
- Kundenerwartungen an Geschwindigkeit: In einer Welt, die rund um die Uhr verfügbar sein muss, bieten voll automatisierte Lösungen eine konstante Servicequalität – ohne Wartezeiten, multilingual.
Auch wenn wir in immer mehr B2B-Prozesse über die großen Plattformanbieter (wie Microsoft, Servicenow, Salesforce oder SAP) agentenbasierte Bearbeitung von Serviceprozeduren einbauen werden, so werden dennoch viele Bereiche übrigbleiben, die sich nicht komplett automatisieren lassen.
Hochspezialisierte Industrien wie der Maschinenbau, das Gesundheitswesen oder die vielen Nischentechnologien erfordern individuelles Know-how und menschliches Urteilsvermögen. Außerdem sind viele KI-Systeme eine „Black Box“: Ihre Entscheidungen sind oft nicht nachvollziehbar und können in kritischen Situationen zu Vertrauensverlust führen.
Shift Left: Vom Service-Center zum Wissenszentrum mit Zukunft
Der Shift-Left-Ansatz geht einen anderen Weg. Hier geht es neben den sicher klar erzielbaren Effizienzgewinnen auch um die Stärkung der Kompetenz und den Aufbau von Wissensspeichern und Wissenszentren.
Explizit steht hier die Weiterentwicklung von Wissensmanagement (Knowledge-Management) in Organisationen im Fokus, was deutlich mehr ist als das einfache Sammeln und Bereitstellen von Wissen. Über Feedbackschleifen wird das Wissen aus vielen Anfragen nicht nur bedarfsgerecht zur Verfügung gestellt, sondern eben auch weiter kuratiert, über die Zeit mit neuen Informationen angereichert und verbessert. Wissensmanagement ist somit definierbar als kontinuierlicher Prozess mit Menschen im Loop zur Validierung und Qualitätssicherung neuer Wissenselemente.
Auch dazu ist eine Menge KI-Technologie erforderlich: Allgemeines Domänenwissen aus generativen KI-Modellen wird über RAG (Retrieval-Augmented Generation) mit kundenspezifischem Know-how, mit Wissensdatenbanken und Dokumenten kombiniert, um präzisere und kontextrelevante Antworten zu liefern.
Mit dem Shift-Left-Ansatz als Konzept können Unternehmen ihre Organisation in mehreren Schritten in die KI-Welt transformieren, ohne den Neubau aller IT-Systeme anzugehen. Dazu werden zunächst vorhandene Wissensquellen in verschiedenen IT-Systemen im Unternehmen angezapft, dann werden die erforderlichen Prozesse zur kontinuierlichen Verbesserung mit neuester KI-Technologie im Kontext mit dem Menschen etabliert. Hierzu gibt es inzwischen erste Dienstleister, die Kunden bei diesen Schritten unterstützen und den kompletten Prozess als Managed-Service zur Verfügung stellen.
Wissen managen: Wenn KI und Menschen gemeinsam lernen
Natürlich versprechen die großen Plattformanbieter in großspuriger Form die Anhebung von Effizienz in Prozessen allein durch das Investment in Lizenzen, in Subscription und in Projekte und damit in die Ablösung von menschenbasierten Support-Prozessen. Aber wo genau wird das funktionieren?
Wie wird das vor allem in absolut hochvolumigen und standardisierten Prozessen mit einer geringen Anpassungsquote funktionieren? Schließlich müssen die Prozess-Automatisierung und damit auch der Support-Prozess durch gezielte Projekte und Entwickler nachgezogen werden, wenn sich etwas in den Prozessen ändert.
Wenn sich Prozesse regelmäßig ändern oder eine in der Realität völlig normale gewisse Variantenvielfalt bei den eingesetzten technischen Maschinen besteht, dann ist der Shift-Left-Ansatz sicherlich erfolgsversprechender.
Ebenfalls für den Aufbau von Wissenddatenbanken mit einem manuellen Kurations-
Konzept über Menschen spricht eine hohe Frequenz an technologischen Innovationen.
Es hängt also klar von der Struktur der eigenen Prozesse ab, ob man am besten in eine komplett automatisierte Plattform und Tool-Welt investiert, oder ob man die Transformation über den Shift-Left-Ansatz besser in einem organisatorischen Projekt angeht, das die bereits vorhandene Tool-Welt erhält und ergänzt.
Der richtige Weg: Plattformautomatisierung oder Wissensaufbau?
Die großen Plattformanbieter wie Microsoft, Servicenow und Salesforce erzählen uns gerne, dass ihre Tools alles lösen. Und ja, wenn die eigenen Prozesse klinisch sauber und standardisiert sind, könnte das sogar stimmen. Aber mal ehrlich: Welche B2B-Realität sieht komplett so aus? Jedes Unternehmen kann sich glücklich schätzen, ein paar Prozesse für KI-Agenten zu identifizieren und diese dann auch tatsächlich umzubauen.
Die Wahrheit ist: Es werden genügend Prozesse für den pragmatischen Shift-Left-Ansatz übrigbleiben. Er setzt auf das Beste aus beiden Welten: KI-gestützte Effizienz, ohne den menschlichen Faktor zu eliminieren. Wissensmanagement wird zu einem zentralen Asset, das sich mit jeder Kundeninteraktion weiterentwickelt.
Dass solche Projekte in der Regel nicht mit den in die Jahre gekommenen Service- Anbietern machbar sind, die vor allem auf die preiswerte Ressource Mensch im Osten setzen, ist klar.
Es braucht einen ganzheitlichen Projektansatz, der die vorhandenen Wissensquellen im Unternehmen nutzt und darauf aufbauend einen neuen Wissensmanagement-Prozess etabliert. Dieser Prozess sollte moderne KI-Tools einsetzen, um aus den täglichen Service-Prozessen neues Wissen zu gewinnen. So wird das verfügbare Wissen kontinuierlich erweitert und flexibel an die aktuellen Anforderungen angepasst.
Die Wahl ist also nicht Effizienz oder Expertise – es ist eine Balance. Und wer diese Balance nicht versteht, riskiert, im KI-Rausch Prozesse zu automatisieren, die eigentlich nur ein Update mit Wissensspeichern und kontinuierlicher Weiterentwicklung mit einem modernen Wissens-KI Stack erfordert hätten.