Der Marketing-Missbrauch des Hybrid-Begriffes in der IT und Automobil-Branche

27. Mai 2020

Hybrid-Systeme bedeuten in der Technik-Welt die Kombination mehrerer Technologien mit dem Ziel der Erzeugung neuer, besonders erwünschter Eigenschaften. – Oder es entstehen durch die parallele Nutzung mehrerer Technologien Redundanzaspekte, die für den spezifischen Anwendungsfall benötigt werden. 

So gibt es Strukturbauteile aus einer Kombination von Kunststoff und Metall, die völlig neue Eigenschaften aufweisen. Stahlbeton ist ein Hybrid aus Armierungsstahl und Beton. Stahlbeton hat eine erheblich höhere Tragkraft als jeder der beiden Stoffe alleine. Er ist flexibel, bricht weniger schnell und übertrifft damit die Eigenschaften der Einzelstoffe bei weitem. 

Ein Beispiel für parallele Nutzung ist die Ausstattung autarker Funkstationen mit Windrädern und Solarpanelen. So entsteht eine Redundanz, die einen Betrieb in allen Situationen ohne großen Akku ermöglicht. 

Das sind absolut sinnvolle Beispiele für parallele Hybrid-Anwendungen, mit denen wir eine gewünschte Redundanz schaffen, indem Stoff- oder System-Eigenschaften parallel zur Verfügung stehen oder erweitert werden. 

Die Verbrenner/Elektro Hybrid-Lüge

Man kann hybride Systeme auch seriell miteinander verbinden. So macht es die Automobilbranche bei hybriden Verbrenner/Elektro-Kombinationen um auf der Welle der Elektromobilität mitzuschwimmen. Die beiden Antriebe stehen nicht parallel und redundant zur Verfügung, sondern die Lichtmaschine des Verbrenners lädt die Batterie. Die theoretische Möglichkeit einiger Hybrid-Modelle, den kleinen Akku über einen Stromanschluss zu laden, wird von weit über 90 Prozent der Autobesitzer nicht genutzt.

Denn der wahre Zweck dieses Hybrid-Konzeptes Verbrenner/Elektro-Fahrzeug ist, den Hersteller über die Schwelle eines geringeren Flotten CO2-Verbrauchs zu retten, zu dem der Staat die Hersteller verpflichtet hat. 

Wen man die Forderung nach einem geringeren CO2-Verbrauch und das Hybrid-Konzept ernst nehmen würde, dürfte es niemals möglich sein, den Akku über die Lichtmaschine des Verbrenners zu laden. Dann hätte man auch ein paralleles Hybrid-System. 

Die Cloud/IT Hybrid-Lüge 

In der IT-Welt ist es ein wenig komplizierter. Hier gibt es schon seit etwas mehr als 10 Jahren das Cloud-Paradigma als Architekturkonzept. Dabei geht es um die Abstraktion von Technologien durch die Schaffung von Diensten (Services). Wenn ich von einem Anbieter IaaS (Infrastructure as a Service) beziehe, dann muss ich mich nicht mehr um eigene Rechenzentren, die Hardware, das Netzwerk oder ein SAN kümmern. Ich erhalte eine API und kann (virtuelle) Maschinen buchen, umbuchen und löschen – als Service. 

Weitere Abstraktions-Stufen sind Angebote wie PaaS (Platform as a Service) oder SaaS (Software as a Service). Bei PaaS erhalte ich Datenbanken, eine Identitäts-Verwaltung oder eine IOT-Transaktions-Plattform als Service eines Anbieters. Bei SaaS stellt mir der Anbieter eine komplette Applikation mit vielen Funktionen, wie ein CRM oder eine ERP-Lösung als Dienst zur Verfügung. 

Die wichtigsten Aspekte der Cloud-Abstraktion sind die Ansteuerung über APIs, die Skalierbarkeit, der Zugriff über öffentliche Netze, die Multimandanten-Fähigkeit sowie die automatisierte Abrechnung. 

Nun haben Kunden vor der Cloud-Welt bereits Daten, Applikationen und Systeme besessen. Klar ist auch, dass das Cloud Paradigma nicht sofort und über Nacht alle Bestands-Umgebungen ablösen kann. Und so wurde die Lösung der Hybrid IT geboren. In dieser Welt scheinen das Cloud Paradigma und die Bestands-Technologien nebeneinander existieren zu können. Eine parallele und keine serielle Hybrid-Welt. Also doch alles gut, oder? 

Hybrid IT kann ein Weg sein, aber nicht das Ziel

Nein. Denn auch wenn man als Tekkie lange über die Aussage streiten kann: Ein User eines Cloud Identitätsdienstes wie dem Azure AD profitiert erst dann von den vollen Möglichkeiten der Cloud Paradigmen, wenn es nicht noch eine kleine hybride Kopplung in die Welt lokaler ADs gibt. 

Ein SaaS-Offering unterliegt entweder den Paradigmen der Cloud Welt und ist u.a. multimandantenfähig und für den Kunden nahezu beliebig skalierbar. Oder aber es ist eben eine aufgepimpte Applikation aus einer anderen Zeit, die vielleicht ein wenig webfähig gemacht wurde. 

Hybrid kann in der IT-Welt nur das Ergebnis einer Cloud first/ Cloud only Strategie sein, die in der Migration oder Transformation ist. Die Gesamt-IT-Architektur eines Unternehmens kann nur einem Paradigma unterliegen. Hybrid ist dann der Weg und nicht das Ziel, um über eine Migrationsphase von x Monaten, oder auch von zwei bis drei Jahren zu einer neuen Cloud only-Architektur zu kommen. 

Parallele IT Hybrid-Lösungen haben für einen Kunden keinen Vorteil durch eine gewollte Redundanz, und sind eben nicht das Beste aus zwei Welten (also dem eigentlichen Vorteil paralleler Hybrid-Lösungen). 

Wer Hybrid IT als Ziel verkauft oder berät, der verfolgt realistisch eigene Interessen: Seien es Verkaufsziele in der Organisation auf Hardware oder Softwarelizenzen oder noch nicht genügend Experten, die sich in der Cloud only-Welt auskennen. Oder gar ein technologischer Rückstand. 

Statt Hype-Bashing: Der Hybrid Index Test 

Hybrid ist ein ehrbares technisches Konzept, wenn es als paralleles Hybrid System funktioniert. In den letzten Jahren wurde der Hybrid-Ansatz aber mindestens von der Auto-Industrie und der IT-Lobby missbraucht, um eigene Schwächen zu vertuschen. So laufen wir Gefahr, dass Hybrid zum sinn-leeren Hype-Begriff verkommt und in den Köpfen negativ belegt wird.

Als erste Annäherung können wir uns zur Bewertung der komplexen Zusammenhänge mit unserem eigenen Hybrid Index beschäftigen. Wie sieht der persönliche Reifegrad aus, wenn man gute und schlechte Hybrid-Konzepte aufaddiert? 

Wer sich als ernsthaft an Zukunfts-Technologien orientierter Mensch treu bleiben will, fährt rein elektrisch und nutzt die Cloud richtig!

Quelle: https://pixabay.com/de/photos/auto-elektrisch-belastung-strom-5598448/
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