Musik hören kann man auf viele Arten. Unbewusst beim Einkaufen oder Duschen oder bewusst im Auto, beim Joggen, in der Küche oder beim Lernen. Oder so richtig bewusst genießen mit der Hifi-Anlage. Auch wenn das Spektrum riesengroß und die Ansprüche grundverschieden sind: Die Idee hinter Hifi (High Fidelity) ist, dem Original mit der Aufnahme möglichst nahe zu kommen.
Klares Ziel ist, bei akustischen Instrumenten und Stimmen nicht nur rechts und links, sondern auch die Staffelung im Raum, die Höhe und die Position des Klangkörpers genau verorten zu können. Das gilt ebenso für vollständig elektronisch erzeugte Klänge, die in den 1970er Jahren bei Pink Floyd noch ziemlich undifferenziert aus den Boxen kamen; über Synthi Pop Musik von Gruppen wie Depeche Mode wurden sie aber immer weiter verfeinert, was die Ausdifferenzierung der „virtuellen“ elektronischen Instrumente angeht.
Von Hifi zu High-End: besser Genießen mit den richtigen Komponenten
Und irgendwo in den verschiedenen Klassen der Zuspieler, Verstärker und Boxen hört dann Hifi auf und fängt High-End an. Ob man mit einer 1.000 Euro Hifi-Anlage solche Feinheiten schon erfassen kann, oder ob man dafür 10.000 oder sogar 100.000 Euro ausgeben muss, hängt vor allem vom persönlichen Geldbeutel und eine Menge von der eigenen Überzeugung ab. Doch für die meisten Musik-Genießer galt in den letzten 50 Jahren die Devise „je teurer, desto besser“.
Aufgrund der vielfältigen Einflüsse bei den Zuspielern (Plattenspieler, CD), Vorverstärker, Verstärker, Kabel und Lautsprecher war ein echter Vergleich auf Basis von Messwerten niemals möglich. Zwar schwebte über allem der Wunsch, möglichst nah an das Original heranzukommen, aber das war in Summe unbeweisbar. Und so geht es beim Testen von Hifi-Komponenten seit Jahrzehnten zu wie bei der Weinverkostung: Luftig, fein gestaffelt, mit klarer Kontur, mit Druck, klarem Ausdruck oder matschig, breiig, unscharf, scharf, spitz oder mit belegten Stimmen.
Digitalisierung: Musik-Konsum für den Massenmarkt
Die Digitalisierung bahnte sich mit dem Format MP3 einen Weg in den Alltag. Denn das brachte Vorteile für alle Bereiche des „normalen“ Musik- Gebrauches: einfache Verfügbarkeit auf zig Geräten und ein gegenüber Cassetten, analogen Autoradios, Walkmen und einfachen Schallplattenspielern sehr hohes Grundniveau.
Der Massenmarkt ist mit MP3 gut versorgt und das Format wurde zur Basis von Spotify, Deezer und vielen anderen Musikdiensten. Dadurch erhält man mit Streaming-Diensten auf ziemlich vielen Geräten vom Smartphone über die inzwischen fest etablierten smarten Lautsprecher wie Sonos, Alexa und Co. eine gerne angenommene Musik- Grundversorgung. Und die liegt akustisch mit Sicherheit deutlich über dem Klang-Niveau der typischen 2.000 DM Hifi-Anlagen in den meisten deutschen Wohnzimmern vor 30 Jahren.
Durch die Digitalisierung und das höhere Grund-Niveau ist die Differenzierung über den Klang in der Normalo-Konsumentenklasse in den Hintergrund getreten. Viel wichtiger ist heute die Integration des Musikangebotes in das digitale Umfeld: Alexa als Home-Automatisierung, Spotify-Connect, Airplay, Google-Home und HomeKit sind heute die Differenzierungsmerkmale und die Magneten, die uns in die Eco-Systeme der großen Digital-Giganten ziehen.
Die Streaming-Angebote mit ihrer Möglichkeit zum Zugriff auf mehr als 50 Millionen Songs machen den Aufbau einer eigenen Schallplatten- oder CD-Sammlung obsolet.
Warum Musikstreaming überall nicht jedermanns Traum ist
Eigentlich also alles ein Traum: Schon mit schmalem Geldbeutel erhält man eine ordentliche Wiedergabe-Qualität und über die Streaming-Dienste kann man auf scheinbar alle Musik auf diesem Planeten zugreifen und das dank der Nutzung mobiler Geräte auch noch unabhängig vom Ort.
Für die Musik-Liebhaber gehen mit dieser Entwicklung jedoch wichtige Elemente ihrer Leidenschaft verloren:
- Sie brauchen bzw. können nicht mehr mit viel Liebe, Diskussionen und in zahlreichen Einzelkäufen eine komplizierte Klang-Kette aufbauen und verbessern.
- Die Jagd nach speziellen Aufnahmen und Pressungen und die Aufbewahrung dieser Trophäen in speziellen Regalen scheint obsolet.
Aber zum Glück hat die Digital-Fraktion einen entscheidenden Fehler gemacht: Die CD konnte schon bei ihrem Start in den 1980er Jahren die wahren Hifi- und High-End-Liebhaber klanglich nicht überzeugen. Diese blieben in den 1980er und 1990er Jahren bei der geliebten Vinyl-Platte.
Und als vor 10 Jahren der Siegeszug von komprimierten Dateien über die Streaming-Dienste begann und das musikalische Mittelfeld zufrieden stellte, tat sich für diese Zielgruppe eine neue Lücke auf. Wie kann man als echter Musikliebhaber digital hören, wenn das Basismaterial durch die Kompression schlechter als die CD ist?
Qualität genießen – oder geht es eher um Nostalgie?
Zwar haben Hifi-Pioniere wie Linn schon vor 20 Jahren erkannt, dass die einzige logische Richtung hochauflösende Digitalaufnahmen in Studio-Qualität sein kann (z.B. 192KHz Dateien). Doch seltsamerweise geht es vielen Hifi-Begeisterten gar nicht um das ursprüngliche Thema – möglichst nah an die Qualität des Originals heranzukommen. Mit dieser Logik wäre die Bereitstellung des Studio-Materials für den Konsum zu Hause eigentlich das non plus Ultra. Doch was propagieren die Fans?
Wie schon erwähnt, zerstört die Digitalisierung des Hifi-Hobbies zwei echte Freuden des Musik Liebhabers:
Das Sammeln und Stöbern und dann ins eigene Regal Stellen von Musik-Konserven weicht einem Knopf-Drücken in einem der vielen HiRes (hochauflösenden) Musik Download Portale. Das Wissen darum, dass es dieser doofen Technik egal ist, ob man die Datei einmal oder 100.000 Mal herunterlädt, versaut einem das gute Gefühl des Besitzen-Wollens. Darüber können auch die neuen HiRes Streamingdienste wie Tidal oder Qobuz nicht hinwegtäuschen. Etwas in den eigenen Händen zu halten, bedeutet Autonomie und Selbstbestimmung – und genau diese Emotionen rauben uns die digitalen Formate und Dienste.
Der Aufbau der perfekten Abspiel-Kette ist eine Sache von Jahren mit stetiger Suche nach dem Optimum und dem Austauschen einzelner Komponenten. Wo bleibt das Sparen, Suchen und Finden des nächsten Verbesserungsschrittes in einer Wiedergabe-Kette, wenn klar ist, dass rational ein aktiver digitaler Lautsprecher mit einem DAC (Digital-Analog-Wandler) und Verstärker an Bord die logisch beste Variante ist? Vorbei die komplexe Kette aus vielen Komponenten: Einfach den HiRes Musik Streaming-Dienst oder den lokalen Musikserver (z.B. von Roon) auswählen und dazu den richtigen aktiven digitalen Lautsprecher – und fertig. Das Ganze ist nur noch abhängig vom persönlichen Geldbeutel.
Dieser Logik entziehen sich Nostalgiker mit echter Ignoranz: sie drehen die Zeit ganz einfach 30 Jahre zurück und erklären die analoge Vinyl-Platte zum Maß aller Dinge.
Klar ist das unlogisch. Denn mal ehrlich: Ist wirklich an jede Pressstelle für die schwarzen Scheiben das originale Masterband geschickt worden, oder einfach nur eine verlustbehaftete analoge Kopie? Wurden die alten Studio-Bänder aus den 1950er, 60er, 70er und 80er Jahren nicht schon vor Urzeiten digitalisiert und es ist seitdem egal, welche Vinyl-Pressung oder welche CD man irgendwo auf diesem Planeten kauft?
Digitalisierung versus Individualität
Digitale Technik nimmt uns Auswahl, Nischen und die Imperfektion. Genau das, worüber wir Menschen uns im Rahmen unserer Individualität von anderen unterscheiden möchten. Gibt es da vielleicht einen Zusammenhang zwischen den immer ausgefalleneren individuellen Marotten, die wir Menschen suchen und an den Tag legen und dem Zurückdrängen des Imperfekten und Unterscheidbaren durch die digitale Gleichheit?
Streiten kann man sich natürlich auch über Unterschiede von digitalen Diensten und Ketten. Oder über Unterschiede von Formaten wie FLAC oder MQA. – Das ist aber sinnlos. Die Menschen tun das aus alter Gewohnheit und beschreiben den einen Musikstreaming-Dienst als etwas klarer oder was auch immer.
Fritz Habig hat die Klangunterschiede beim Streaming sehr schön herausgearbeitet: Anders als früher sind die Unterschiede heute messbar und nachweisbar. Sie liegen in der unterschiedlichen Lautstärke und Filtern, die die verschiedenen Dienste bewusst einsetzen. Es geht also um das menschliche Irren der subjektiven Wahrnehmung und eine bewusste Manipulation. Damit ist die Idee von Hifi, so nah wie möglich an die originale Aufnahmesituation heranzukommen, ad absurdum geführt.
Dem eigentlichen Hifi-Ziel, mit der Musik-Reproduktion aus der Konserve die Original-Aufnahme möglichst getreu wiederzugeben, können wir heute mit einem qualitativ hochwertigen Musikstreaming-Dienst und einem aktiven digitalen Lautsprecher in einer Ausstattung passend zum Geldbeutel so einfach wie nie näher kommen. Also eigentlich alles klar und einfach.
Wie Digitalisierung unseren Genuss entzaubert
Und was bedeutet das nun für den Musik-Genuss in der digitalen Welt?
Die Digitalisierung entzaubert vor allem unsere wirklichen Beweggründe und Eitelkeiten: Wollen wir wirklich Musik genießen und uns einer Aufnahme ganz hingeben? Oder geht es uns unter dem Deckmantel der Qualität um etwas ganz anderes?
Früher konnten wir hinter diesem hehren musischen Ziel eine Menge anderer Leidenschaften verstecken:
- Die Leidenschaft, Schallplatten oder CDs zu sammeln und dann zu besitzen, autonom zu sein.
- Die Leidenschaft, immer neue Geräte aufzuspüren und zu kaufen, nur um „noch besser“ hören und genießen zu können.
- Die Leidenschaft, mit anderen demselben Hobby zu frönen und sich mit Seelenverwandten auszutauschen.
Schon früher hätten wir einfach in ein Konzert gehen können, um dem Ziel der perfekten Aufnahme ganz nah zu sein. Egal ob analog oder digital.
Obwohl die Fakten irgendwie klar sind, werden wir Menschen noch viele Jahre über den besten Weg zur Musik-Reproduktion streiten. Denn wir Menschen sind soziale Wesen und ein Teil unseres Lebens ist genau der Austausch; der Diskurs mit anderen, das Zusammenschließen in Gruppen und das Verteidigen von Gruppen-Werten gegenüber anderen.
Solange wir das wissen, sollten wir lächeln und genießen – egal wie und egal was – und vor allem egal, ob analog oder digital. Denn für das Genießen sollte die verwendete Technologie egal sein.