Kann es eine Welt ohne Wachstum geben?
Immer häufiger liest und hört man Narrative, die Wirtschaftswachstum in einen direkten Zusammenhang mit Umweltzerstörung und CO2-Ausstoß setzen und dabei eine Kausalität unterstellen. Selbst Unternehmer träumen öffentlich von einer Welt ohne Wachstum oder sprechen von einer anbrechenden Zeit „Beyond Growth“.
Klar müssen wir darüber nachdenken, wie wir als Menschheit im besseren Einklang mit unserem Planeten und anderen Arten leben. Wir brauchen Ideen, wie wir eine globale Transformation hin zu einer elektrischen Welt für Mobilität, Industrieproduktion und Logistik bewerkstelligen können.
Ohne Zweifel ist es absolut erforderlich, dass wir gedankenlosen Konsum infrage stellen und dabei am besten bei uns selbst anfangen, anstatt nach Regulierung und Verbotslogik für alle zu rufen.
Aber ist das Grundübel dabei tatsächlich Wachstum? Wirtschaftswachstum?
Mit Sicherheit nicht.
Was ist Wert?
Wert ist das, was wir Menschen als soziales und vernetztes Subjekt einem Objekt oder einem Gebilde wie einer Firma zuschreiben. Es ist ein Erwartungswert, der entweder die Produktionskosten widerspiegelt oder bei einer gewissen Knappheit einfach der Preis, den jemand anderes kurz zuvor bezahlt hat. Wert ist fiktiv in der Bildung, weil er immer aus einem Kommunikationsprozess resultiert.
Wenn wir einen erarbeiteten Ertrag konservieren wollen, einen Arbeitslohn am Monatsende oder eine Anzahlung von einem Kunden für eine Ware, dann vertrauen wir darauf, dass es Wertspeicher gibt, die den Wert konservieren und nach Tagen, Monaten oder Jahren wieder ausspucken, ohne, dass es weniger geworden ist. Das gilt für den Geldbetrag, der auf dem Kontoauszug oder Geldschein steht, aber auch für die Kaufkraft, die wir erwarten. Auch wenn Staaten über ihre Zahlungsmittel versprechen, dass ein Euro einen Bestand über das nächste Jahr hinaus hat, reicht das noch nicht, dass uns eine Bank oder Person nach einem gewissen Zeitraum wieder die annähernd gleiche Kaufkraft herausgibt. Dafür müssen andere das Geld investiert und einen Zins bezahlt haben.
Damit ist die Grundlage unserer Erwartung, dass sich der Wert nicht um 90% nach unten bewegt hat, eine Wachstumserwartung, die jemand anderes in eine Investition mit Zinszahlung umgesetzt hat. Selbst der derjenige, der sein erspartes zur Bank bringt, baut also darauf, dass andere mit seinem Geld etwas geschaffen haben.
Wenn nichts Neues geschaffen, verbessert oder optimiert wird, dann hat keiner mehr die Kraft, einen Wert für etwas zu bezahlen und wir verlieren unsere Werte.
Wenn niemand mehr meine Aktie kaufen möchte, die ich gestern gekauft habe, dann verliert sie an Wert, eben genau weil kein Käufer mehr da ist. Während der Wert von alten Autos oder Rolex-Uhren nur auf Basis einer Verknappung steigen kann, können Unternehmen und Aktien an Wert steigen, weil sie morgen mehr für weniger Geld produzieren.
Und genau das ist Wachstum.
Wer also von einer Welt ohne Wachstum träumt, der stellt in absolut grundsätzlicher Form Wertstabilität und jede Form von professionellem Wirtschaften in Frage. Damit wird die bisher einzig funktionierende und effizienteste Form der Ressourcenallokation auf diesem Planeten in Frage gestellt: unsere demokratische, geerdete kapitalistische Marktwirtschaft. Zur Erinnerung: die bisherigen Experimente anderer Wirtschaftsformen; wie z. B. der Kommunismus; sind gescheitert.
Sollten wir es nicht doch mal ohne Wachstum ausprobieren?
So ist das mit Utopien – es klingt irgendwie verlockend, das Experiment „weniger Wachstum“ zu wagen. Dass wir diesen Gedanken auch nur für eine Sekunde zulassen liegt daran, dass es uns so gut geht. Wir setzen Dinge als selbstverständlich voraus, die nicht selbstverständlich sind: Wertstabilität und Frieden.
Ohne eine Mindset-Effizienz bei der Ressourcenallokation gibt es als direkte Konsequenz Verteilungskämpfe, Unruhen und häufig Krieg. Das zeigen viele Experimente mit verschiedensten Herrschaftsformen über die letzten 5000 Jahre, also weit vor der Industrialisierung.
Das römische Reich hat solange funktioniert, wie dem System über die territoriale Ausdehnung Nachschub (Wachstum) an Werten (Gold) und billige Arbeitskräften (Sklaven) zugeführt werden konnten. Alexander der Große, Kaiser Karl oder auch das System der französischen Könige hat nur über expansive Politik und Krieg funktioniert. Diese Form der Verteilungskämpfe konnten wir seit 1945 auf globaler Ebene auf Wirtschaftskriege reduzieren, bekommen aber aktuell vor unserer Haustüre in Europa gerade demonstriert, wie sich Verteilungskämpfe konkret anfühlen.
Wenn Staaten ihrer Bevölkerung keine Zukunftsperspektiven bieten, dann gehen sie unter oder müssen sich über Gewalt eine vermeintliche Zukunft schaffen. Wenn Wirtschaft über ein paar Jahre ineffizient betrieben wird, dann gibt es Korruption, Gewalt oder innere Unruhen.
Wenn nicht der Großteil der Menschen, also jeder einzelne von uns, in einem Land eine Perspektive auf mehr Wohlstand hat, dann wandern wir aus oder gehen auf die Straße. Es sind also wir alle, die letztlich von unserem Staat erwarten, dass er Wachstum organisiert und ermöglicht.
Es ist also schlichtweg Blödsinn, von einem Land ohne Wachstum zu träumen.
Was wäre, wenn…
Was wäre, wenn wir in Deutschland alle die rosarote Brille aufsetzen und sagen, dass wir es auch mit weniger Wachstum schaffen. Also ungefähr so, wie unser Alleingang bei den Atomkraftwerken, bei dem die ganze Welt über unsere Dummheit lacht.
Auf diesem Planeten gibt es viele hungrige und bedürftige Menschen, die es für sich selbst und ihre Kinder besser haben wollen, als es ihr eigener Zustand erlaubt.
Diese Anstrengung, etwas mehr leisten zu wollen als andere reicht aus, dass es Wirtschaftswachstum gibt. So war das auch bei der Generation unserer Eltern nach dem Krieg. Zu hohe Unsicherheit ODER eine bessere Zukunft haben zu wollen reicht aus, damit Wirtschaftswachstum entsteht, wenn man ein halbwegs effizientes System wie unseren viel gescholtenen Kapitalismus etabliert.
Verteilungslogik bedeutet aber auch: Wenn wir uns nicht mehr anstrengen und Leistung zeigen wollen, dann fangen bei uns nach kurzer Zeit Verteilungskämpfe an. Das kann man auch mit Gesetzen und einem Staat, der Geld verteilt, nicht beheben.
Und wenn wir uns jetzt noch mal kurz daran erinnern, wie die Grundlagen unserer Gesellschaft über Technologie und Rohstoffe über Ausbeutung anderer Länder in den letzten 200 Jahren entstanden ist, dann grenzt es an Hohn, oder zumindest peinlichster Unkenntnis, wenn wir von einer Welt ohne Wachstum träumen oder überhaupt darüber reden. Es steht schlichtweg für die absolute Unkenntnis von elementaren wirtschaftlichen und geschichtlichen Zusammenhängen.
Nicht-Wachstum bei uns unter Beibehaltung unseres Wohlstandes kann nur per Ausbeutung oder Unterdrückung von anderen erfolgen. So machen es z.B. die Franzosen, wenn sie ihre alten Kolonien in den Euro zwingen (Franc CFA) und mit ihnen Rohstoffverträge mit Preisen von über 30% unter den Marktpreisen vereinbaren.
Die Hoffnung darauf, mit weniger Leistungsbereitschaft, weniger Wochenarbeitszeit, weniger Lebenszeit, früherer Rente und mehr Freizeit ist eine absolute Utopie. Mindestens solange, wie es noch eine größere Gruppe von Menschen, einen oder mehrere Staaten gibt, die für sich und ihre Kinder eine bessere Zukunft mit mehr Sicherheit und höherem Wohlstand wollen.
Diese Gruppe wird dann für ihre Märkte Wachstum generieren. Dort werden auch Wertsteigerungen möglich sein. Bei uns führt mit der gleichen Logik kein Wachstum oder Schrumpfung automatisch zum Verlust unserer Werte. Altersvorsorge über Immobilien oder Aktien funktioniert dann nicht mehr.
Und diese Logik würde uns dann schleichend aber sicher in immense Verteilungskämpfe führen, die früher als später auch mit Gewalt ausgetragen werden.
Mehr Realität – Worüber wir eigentlich reden sollten
Was wir eigentlich ausdrücken wollen, wenn wir Wachstum in Frage stellen, ist: Muss es immer und grundsätzlich mehr Konsum sein? Was wir dabei vergessen: Das ist kein Thema auf Staatsebene, sondern ein ganz persönliches für jeden einzelnen Haushalt. Darüber aber müssen wir allein nachdenken.
Auf keinen Fall dürfen wir von unserem Staat fordern, Konsum zu verbieten. Es ist absurd nach „Vater Staat“ zu schreien, der Flugreisen, den Kauf von Autos, Fleischkonsum oder Skiurlaube verbieten soll. Wir müssen akzeptieren, dass es unterschiedliche Lebenskonzepte gibt, die alle ihre Berechtigung haben. Ohne Frage sollte man dabei nach Links und Rechts schauen und für die Folgegenerationen nicht einfach einen großen Haufen Müll zurücklassen. Aber das gelingt nicht, durch die Stornierung eines Hawaii-Urlaubs oder den Umstieg auf den ÖPNV.
Es wichtiger, positive Dinge, neue Technologien und soziale Projekte mit eigener Energie zu unterstützen, als von anderen Verzicht einzufordern.
Bei jedem von uns sollten die Alarmglocken klingeln, wenn wir und unser direktes soziales Umfeld sich so satt und zufrieden fühlen, dass wir am liebsten ohne weitere Anstrengung und ohne Risiken durchs Leben kommen wollen. Wenn sich ein größerer Teil unserer Gesellschaft mit diesen Gedanken beschäftigen, dann befinden wir uns ungefähr am Kipppunkt des Römischen Reiches kurz vor seinem Zerfall.
Wir sollten stattdessen darüber nachdenken, mit welchen Strategien und Maßnahmen wir in einem besseren Einklang mit den Ressourcen des Planeten leben können. Statt Wachstum abzuschaffen, sollten wir an der Entwicklung und Nutzung zukunftsweisender Technologien arbeiten. Jetzt ist die Zeit für eine aktive Veränderungsbereitschaft, um lieb gewonnene aber schlechte Verhaltensweisen anzupassen. Und damit meine ich nicht das Wachstum, sondern ganz im Gegenteil unsere Bequemlichkeit. Aktive Gestaltung und Teilhabe an sozialen Gruppen und Gemeinschaften kann uns dabei inspirieren, Risikobereitschaft zu fördern, die neue Ideen aktiv unterstützt.
Um es schlichtweg herunterzubrechen: Was wir vom Staat erwarten und fordern dürfen ist endlich wieder eine Strategie und Vision. Eine Strategie, die uns im Staatenverbund positioniert, die wir nach innen und in der Welt vertreten können und dürfen. Und eine Vision, auf die wir hinarbeiten können. Gleichzeitig brauchen wir mehr Verantwortung für unser Umfeld und uns selbst. Zum Werterhalt und Wohlstand gehört Wachstum genauso dazu wie der Wille zu Leistung.