Wir haben den Technologiebegriff in Medien, Dialog und Gesellschaft noch nicht an unsere Zeit angepasst. Aktuell sehen wir, wie vor allem Technologieaktien rasant an Wert verlieren. Technologie wird von vielen als die einzige Möglichkeit gesehen, wie wir als Menschheit überleben können. Andere warnen vor zu großer Abhängigkeit und fürchten sich vor Technologiegläubigkeit.
Ein Blick in die Geschichte ist interessant. Technik war früher vor allem die Beschreibung einer menschlichen Fertigkeit. In handwerklichen Berufen werden heute noch verschiedene Techniken vermittelt, wie Menschen Arbeiten ausführen. Technik ist damit der Sammelbegriff für alles von Menschen Geschaffene: Bauwerke und Brücken ebenso wie Maschinen, Apparate oder Geräte.
Der Begriff Technologie steht für die Wissenschaft und Lehre von der Technik zur Planung und Herstellung von Industrieprodukten. Also für den geordneten Prozess des Aufbaus und der Anwendung von Knowhow und Wissen zum Einsatz in Industrieprozessen. Technologie ist die Lehre vom Einsatz der Technik. Diese hat sich in den letzten 150 Jahren vom Handwerk in Richtung industrieller Produktion verschoben.
In der Industrie werden Rohstoffe oder Zwischenprodukte in gewerblicher Form durch Bearbeitung zu Sachgütern verarbeitet.
Was ist dann digitale Technologie und digitale Industrie?
Die Antwort als Analogie scheint einfach: In der digitalen Industrie werden digitale Technologien zu digitalen Gütern verarbeitet. Also sind Microsoft, SAP und Google digitale Industrie-Unternehmen. Dabei denken wir vor allem an Software also nicht physische Produkte und Services. Nicht-digitale-Technologie benötigt aber auch Sachgüter (Hardware) wie Netzwerke, Computer und Speicher. Sind diese auch Teil der digitalen Industrie?
Man könnte sagen, dass digitale Technologien und digitale Industrien sich dadurch definieren, dass Software der Kern und Werttreiber ist. Damit gehören dann Unternehmen wie IBM, Apple und Amazon (der Retail-Händler-Teil) auch klar zur digitalen Industrie. So weit, so gut.
Was ist mit Tesla, VW und BASF?
Ein Tesla wird von vielen auch als fahrendes iPad bezeichnet. Der Kern ist Software. An der Börse spiegelt das der Aktienkurs wider, selbst nach dem Kurssturz der letzten Wochen. Tesla wird nicht wie ein Automobilkonzern bewertet, sondern wie ein Softwareunternehmen, auch Anfang Juni 2022 noch mit einen KGV (Kurs-Gewinn-Verhältnis) von 30 (vor ein paar Wochen noch über 40).
Auch VW weiß, dass es in Zukunft um Software geht. Daher investiert VW Milliarden in seine Softwaretochter CARIAD, und bleibt dennoch ein Automobilhersteller mit einem KGV von 7. Die tatsächliche Wertschöpfung bei Logistik, Supplychain und Produktion ist aber schon längst zu 100 Prozent Software-gesteuert. VW will für Investoren ein Technologiekonzern werden, um die entsprechend hohe Bewertung zu erhalten. Aber nach der Definition sind die wesentlichen wertschöpfenden Prozesse bei VW schon digital – wir müssten sie also mindestens in die Industriesparte „digital“ stecken.
Man könnte argumentieren, dass Hersteller physischer Produkte nicht zur digitalen Industrie gehören können. Doch Tesla, Apple und auch Cisco wären klare Gegenbeispiele.
Wie sieht es bei nicht physischen Produkten aus? Auch bei der Deutschen Bank sind die wesentlichen wertschöpfenden Prozesse digital. Dennoch werden Neobanken (aktuell noch) besser bewertet als die traditionellen Banken.
Unverständlicher wird der Begriff Technologie-Unternehmen bei Beispielen wie BASF. Eingestuft als langweiliges Chemie-Unternehmen hat diese sich in den letzten 20 Jahren doch klar zu einem Technologie-Unternehmen entwickelt. Egal ob spezielle Materialien für Batteriezellen oder hochkomplexe Oberflächen-Coatings. Technologie ist der Prozess, das Wissen anzusammeln und in die Produktion umzusetzen. Warum ordnen wir also BASF nicht als Technologie-Unternehmen ein?
Die Bewertung ist das eine, aber festzuhalten ist: Die Unterscheidung auf einer formalen Ebene, ob ein Unternehmen ein Technologie-Unternehmen ist oder nicht, oder sogar ein digitales Technologie-Unternehmen, wird immer schwieriger.
Multiples in der Krise
In den letzten Jahren haben wir geglaubt, dass viele Technologie-Unternehmen quasi unendlich wachsen können. Wert- und/oder Umsatz-Verdopplungen pro Jahr, prognostiziert auf viele Jahre wurden erwartet. Jetzt werden wir daran erinnert, dass ein so hohes Wachstum immer nur für einen gewissen Zeitraum funktioniert.
Auf einmal wird auch klar, dass Hardware und Maschinen, die per Logik für jegliche Form von Industrie-Unternehmen notwendig sind, angeschafft, finanziert und abgeschrieben werden müssen. Daran erinnern uns jetzt in schmerzlicher Form die FED und EZB mit Zinserhöhungen.
Was wir in den letzten drei Monaten beobachten konnten, waren nur Anpassungen an die Realität. Viele Unternehmen, die es erwischt hat, haben ganz solide Geschäftsmodelle. Aber unsere grenzenlose Zuversicht wurde zerstört.
In Zeiten des Booms der letzten Jahre haben Investoren sich immer mehr Technologie- Unternehmen zu Wachstums-Unternehmen umgewünscht. Die Wachstumserwartung lag über dem, was realistisch machbar war und ist.
Der Wunsch wurde gespeist aus der Gig-Economy der großen Silicon Valley Plattformunternehmen, die vor allem im B2C-Markt über mehr als ein Jahrzehnt hinweg fast grenzenlos zu wachsen schienen.
Diese Zeiten sind jetzt zu Ende gegangen, denn auch Metaverse, Snapchat und Amazon können nicht in den Himmel wachsen und sind von irdischen Begrenzungen wie Gesetzen und der Anzahl von Menschen mit Handy auf unserem Planeten abhängig.
DeepTech Trends
Noch hofft eine Fraktion von Unternehmen, diesen Begrenzungen der physischen Welt für die nächsten Jahre ein Schnippchen schlagen zu können: Die DeepTech-Unternehmen. Dabei handelt es sich um noch forschungsnahe Technologie-Unternehmen, die sich mit extrem wachstumsstarken Grundlagentechnologien beschäftigen. Dazu gehören Themen wie die Kernfusion oder ganz neue Märkte wie die Robotik.
Folgende Märkte sind schon relativ klar erkennbar und ziehen aktuell Investoren und Gründer massiv an:
- Robotics: Hierzu gehört nicht nur die Hardware, sondern vor allem die Software, die die schnelle und einfache Umsetzung von konkreten Anwendungsfällen ermöglicht.
- AI/KI: ist bereits seit Jahren ein Hypethema. Da es sich um das Aufspüren von vielen unterschiedlichen Anwendungsfällen für die neue Technologie handelt, ist es fraglich, ob hier nochmal große Plattformunternehmen entstehen können, oder ob es sich einfach nur um einen stark wachsenden Markt ohne die Bildung von Oligopolen handeln wird.
- Synthetic Biology: So wie die aktuelle KI die Adaption von datenbasierten Modellen an die physische Welt ist, ist die synthetische Biologie die Anwendung von datenbasierten Vorgehensweisen auf biologische Systeme. Das können Viren, Pflanzen und Tiere aber sicher auch relativ schnell menschliche Applikationen sein und werden. In diesem Bereich ist die Entstehung von Mega-Unternehmen ähnlich der Gig-Economy für die nächsten Jahre sicherlich am größten.
Bleibt die Frage: Brauchen wir Menschen Technologie?
Nicht die Antwort auf die Frage, aber auf jeden Fall ein Fakt ist, dass mit der heute üblichen Bedeutung der Begriffe nahezu alle Unternehmen zu Technologie-Unternehmen werden oder es eigentlich schon sind. Jedes Unternehmen benötigt digitale Technologie. Handwerker und Dienstleister genauso wie Industrie-Unternehmen. Und da mit digitaler Technologie ja letztlich jedwede Form von menschlicher Tätigkeit, physisch wie geistig, mindestens teilautomatisiert wird, wird auch nahezu jeder Prozess industriell in der heute noch üblichen Bedeutungsform.
Nahezu jede Form von menschlicher Tätigkeit braucht in Zukunft Software oder ist sogar Software-basiert: Software wird der elementare Building Block und Treiber physischer Infrastruktur und Gegenstände.
Wird es damit in all diesen Einsatzgebieten exponentielles oder massives Wachstum geben? Sicher nicht. Die Zeiten der digitalen Gig-Economny sind erstmal vorbei. Massives Wachstum kann es nur bei revolutionären neuen Basistechnologien geben, wie der Kernfusion, Photonik oder der synthetischen Biologie.
Aber im Umkehrschluss ist auch klar: Solange wir als Menschheit wachsen (also nach aktuellem Kenntnisstand bis ca. 2100) und die Erde so viele Menschen tragen muss, benötigen wir immer mehr Technologie. Das ist das große Missverständnis der Wachstumsgegner. Es ist nicht der Kapitalismus, der uns zum Wachstum zwingt. Wir brauchen Technologie, um das biologische Wachstum von uns Menschen auf diesem Planeten mit endlichen Ressourcen zu managen und überhaupt zu ermöglichen. Aus dem biologischen Wachstum der Menschheit entsteht der Bedarf nach immer neuer Technologie.
Was mit einer schrumpfenden Menschheit und damit schrumpfenden Märkten tatsächlich mit unserem Wirtschaftssystem passiert, dass wissen wir letztlich noch nicht. Denn das ist für uns zivilisierte Menschen neu. Spätestens unsere Kinder werden es erfahren.
Impact Unternehmertum und Impact Investing braucht Technologie
Bis dahin ist die Richtung klar. Um die Welt mit all den Facetten der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele (SDG) jeden Tag ein wenig besser zu machen, benötigen wir funktionierende Wirtschaftssysteme und neue Technologien. Also die aktive Beschäftigung damit, die industrielle Produktion gemäß den 17 SDG besser zu machen. Genau das ist das Konzept von Impact Entrepreneurship – also Impact Unternehmertum und Impact Investing.
Denn solange wir als intelligente Wesen keinen Weg finden, unser biologisches Wachstum in ethisch vertretbarer Form zu steuern, so lange brauchen wir Technologie! Wie Wirtschaften ab ca. 2100 in weltweit dauerhaft schrumpfenden Märkten wirklich funktionieren wird, das werden wir dann lernen müssen. Die richtigen nachhaltigen Ziele, ein wenig Demut und Technologie werden uns hoffentlich noch dahin bringen.