ESG entzieht Bestandsunternehmen Innovationskraft

17. Mai 2023

ESG – diese drei Buchstaben spielen in diversen Fragen rund um nachhaltige Entwicklung eine große Rolle. Eine zu große, meiner Meinung nach. 

Das Ziel der Nachhaltigkeitsstrategie von ESG ist es, mit dem „do less harm“-Prinzip die Welt weniger schlecht zu machen. Der Kerngedanke fußt auf der Logik, den Zustand der Umwelt zu verbessern, indem wir schädliches menschliches Handeln reduzieren. Umgesetzt wird dieser Gedanke über verschiedene Reporting Frameworks, wie die Global Reporting Initiative, die Task Force on Climate-Related Financial Disclosures, das Sustainability Accounting Standards Board und einige weitere. 

Diese Reporting Frameworks konzentrieren sich im Detail zwar auf andere Schwerpunkte, haben aber eines gemeinsam: Sie alle sollen die hoch komplexe Aufgabe bewältigen, ein Unternehmen unter den enorm verschiedenen Aspekten Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung mit einer Kennzahl zu bewerten. Ein realistisch unmögliches Unterfangen und anfällig für die jeweilige Politik und Interessenvertretungen, die hinter den Frameworks steht. Von der EU ist es aber gewollt, dass eben diese wissenschaftlich hochzweifelhaften Kennzahlen zur Lenkung von Kapitalströmen genutzt werden.  

ESG ist staatlich geförderte Cancel Culture

Durch die 2021 in der EU festgelegte Sustainable Finance Disclosure Regulation müssen Vermögensverwalter über ihre Investments berichten und greifen dabei auf die ESG-Frameworks zurück. Was im ersten Moment nett klingt und für eine angeblichen Transparenz bei den Endkunden sorgen soll, führt faktisch zu einer Cancel-Logik von Unternehmen, die mit bestehenden, alten, erprobten oder vielleicht auch überholten Geschäftsmodellen unterwegs sind. Man könnte also auch von staatlich geförderter Diskriminierung oder auch von aktivem Black-Listing reden.  

Die eigentliche Idee ist es, neue Geschäftsmodelle, die der ESG-Logik positiv zugewandt sind, aktiv zu fördern und zu unterstützen. Der gewollte Nebeneffekt beinhaltet aber auch, dass es Bestandsunternehmen in nicht mehr ganz hippen Branchen schwerer haben, Kapital aufzunehmen und höhere Zinsen zahlen müssen. Kapitalanleger meiden diese Unternehmen in der Folge und investieren nicht mehr in solche Modelle oder deinvestieren aktiv ihr Kapital, wenn sie schon investiert waren. 

In Bestandsunternehmen, die ihr Geschäftsmodell nicht einfach anpassen können, erfolgt also eine gewollte, aktive und überproportionale Wertevernichtung für Anteilseigner. 

ESG schließt Räume für aktiven Wandel und Transformation

Ein Blick in einige der betroffenen Unternehmen zeigt zum einen, wie lang und weitreichend diese Liste ist, aber auch welche Unternehmen erstaunlicherweise nicht darunterfallen. Denn während zahlreiche Energieunternehmen wie ENBW, Vattenfall, RWE und Total unter dieser Entwicklung genauso leiden wie Automobilhersteller, darunter beispielsweise Volkswagen, Mercedes und BMW, stehen Softwareunternehmen nicht auf der Liste. Im Gegenteil lässt diese Entwicklung Google, Microsoft und Co unabhängig vom gewählten Framework sogar in einem guten Licht dastehen. 

Schlüsselt man die dahinterstehende Logik auf, wird klar, dass die ESG-Strategie aktiv Räume für Verbesserung und Wandel schließt. Wenn beispielsweise ein Konzern wie RWE, der vor 50 Jahren noch die gewollte und geförderte autarke Energiepolitik Deutschlands zum Kerngeschäftsmodell hatte, nun einen anderen und vor allem nachhaltigeren Weg einschlagen will, wird diesem Unternehmen aktiv die Chance zur Transformation genommen. Dies geschieht, indem es für eine Windparkinvestition einen höheren Zins zahlen muss als ein neueres Unternehmen mit einem besseren ESG-Score. RWE kann sich noch so sehr ein Bein ausreißen und betonen, auf dem richtigen Weg zu sein und bereits 20 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen zu produzieren und zu vertreiben. Das führt zu nichts anderem als dazu, dass ihnen Scheinheiligkeit attestiert und vorgeworfen wird.  

Der Wandel und eine positive Veränderung von Bestandsunternehmen wird damit also systematisch von der EU durch Regulierung und von Interessensgruppen durch die Fokussierung auf Negatives verhindert. Diese Wirkung wird in der breiten Gesellschaft durch die mediale Abbildung des Ganzen nur noch verstärkt. 

Ist ein Windpark von RWE schlechter als ein von einem Green Energy Provider errichteter und betriebener Park? 

Ist das ein gutes Signal für den Wandel in eine bessere positive Welt?  

Wir zerstören mit diesen negativen Narrativen das notwendige Vertrauen, das es für einen positiven Wandel braucht.  

ESG ist beliebig

Das ESG-System ist weder zielführend noch wissenschaftlich. Es bringt uns nicht voran und ist im Gegenteil dazu eine Bremse auf dem Weg in eine positive Entwicklung, in der innovative und auf Transformation ausgelegte Projekte gefördert werden. Die Entscheidung, welches Unternehmen einen besseren ESG-Score erhält, folgt dabei keinen objektiven Entscheidungskriterien.  

Ein Beispiel verdeutlicht diese Problematik: BMW und Mercedes erhalten nach dem ESG-Bewertungskatalog starke Abzüge im Bereich Umwelt wegen der Produktion von Verbrennern. Die Bereiche Soziales und nachvollziehbare Prozesse sind hingegen positiv bewertet. Tesla steht dementgegen rund um das Thema Umwelt gut da, hat aber große Schwächen im Bereich Governance. Wer bekommt nun den besseren ESG-Score? Wer ist besser oder weniger schlecht für den Planeten und für uns Menschen?  

Faktisch hängt diese Entscheidung vom gewählten Narrativ, also der gerade laufenden Story ab. Von einem wissenschaftlichen, objektiven und vor allem eindeutigen Standpunkt lässt sich das Ganze nicht entscheiden. Dass all das eine positive Lenkung von Engagement auf lohnende Innovations- und Transformationsprojekte massiv erschwert, steht jedoch außer Frage.  

ESG ist nicht die Lösung

Als Konsumenten können wir Verbraucher mit den Füssen abstimmen. Wir können ein Produkt und einen Service kaufen, oder uns aktiv dagegen entscheiden. Als Verbraucher sind wir in der Position, bewusst zu einem teureren Produkt zu greifen, von dem wir denken, dass es langlebiger, qualitativ hochwertiger oder besser für den Planeten ist. 

ESG wirkt auf Produktentscheidungen und auf Finanzentscheidungen, also in welche Unternehmen wir mit unserer Altersvorsorge und unserem Kapital investieren wollen und sollen. ESG wirkt dabei vor allem als Selektor und Filter von Negativem, geht also mit der Grundsatzfrage “Wer ist weniger schlecht?” an die Entscheidungsfindung. Aber sind das wirklich die Fragen, die wir uns bei der Entscheidung für oder gegen ein Finanzprodukt stellen sollen? Geht es nicht vielmehr darum, eine bewusst positive Entscheidung mit unseren Fonds, ETFs oder direkten Aktieninvests zu tätigen, als nur eine weniger schlechte? 

Wir brauchen gutes Systemdesign und Partizipation

Oliver Heart, Nobelpreisträger in Wirtschaftswissenschaften aus Harvard, hat dazu einen interessanten Vorschlag entwickelt. Wenn sich ein Unternehmen aktiv positiv verhalten möchte, oder eine Transformation seines bestehenden Geschäftsmodells in eine positivere Richtung vorzunehmen plant, dann könnte man die Aktionäre darüber abstimmen lassen. Das Unternehmen kann solche Verbesserungs- oder Transformationsprojekte aktiv zur Abstimmung bringen. Damit können Bestandsunternehmen, die sich ändern wollen, einen Teil der Gewinne in den eigenen Umbau investieren. 

Heart geht davon aus, dass es sicher Investoren gibt, die dem Unternehmen vertrauen und einen Teil der Rendite für einen zukünftigen höheren Unternehmenswert nach der Transformation investieren, indem sie heute auf Gewinnausschüttungen verzichten. Ähnlich wie es heute bereits viele Menschen tun, wenn sie sich – nicht immer vollkommen rational – eine Solaranlage auf dem eigenen Dach montieren lassen. 

Oliver Heart macht mit seinem “Exit vs. Voice”-Ansatz einen konkreten Vorschlag, wie wir Anleger aktiv in Zukunfts- und Innovationsprojekte von börsennotierten Unternehmen einbinden können, indem wir auch Kleinanlegern über ihre Proxies einen Gestaltungsrahmen geben. 

Dies ist ein wichtiger Schritt, um in unserer Welt mit positiven und aktiven Entwicklungen Impact, also konkrete positive Wirkung, zu erzeugen. 

Wer bei Hearts Vorschlag noch etwas weiter in die Tiefe gehen möchte, kann in der Veröffentlichung unter dem Titel “Exit vs. Voice” von ihm und zwei weiteren Wissenschaftlern weitere Hintergründe zu der Thematik erhalten.

Wir brauchen keine Cancel Culture

Der Blick in die Zukunft mit ESG zeigt, dass Bestandsunternehmen dem Kriterienkatalog vielleicht noch genügen können, sie aber schlechtere Ratings und damit einen schlechteren Zugang zu Kapital erhalten. Handelt es sich dabei um börsennotierte Unternehmen, erhalten sie dadurch weniger Mittelzufluss in die Aktie und dadurch eine schlechtere Bewertung am Kapitalmarkt. Und genau diese Entwicklung ist von der ESG-Logik so gewollt, womit sie ganz klar dem Prinzip der Cancel Cultur folgt.  

Bestandsunternehmen haben es dank ESG also deutlich schwerer, sich zu transformieren. Damit schadet ESG nicht nur diesen Unternehmen, sondern dem ganzen Planeten. Denn Innovation in Bestandsunternehmen ist ein entscheidender Faktor auf dem Weg in eine fortschrittliche und auch nachhaltige Zukunft, dem wir uns nicht mit einem willkürlichen Kriterienkatalog in den Weg stellen sollten. Erst reicht nicht, wenn dieser Katalog darauf aus ist, nur “weniger falsch” statt “mehr richtig” zu machen.  

Quelle: https://unsplash.com/de/fotos/-Ds7O9Y1_80
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