Globalisierung neu gedacht – so geht’s

22. April 2020

Unter dem Schock der Corona-Pandemie mehren sich die Stimmen, dass wir mit dem Konzept der Globalisierung auf dem falschen Weg sind und unsere Geo-Politik und Wirtschaft-Politik dringend anpassen müssen.

Dabei haben wir in den letzten Jahrzehnten nur die Optimierungsvariablen unseres Effizienzbegriffes durch die falschen Anreize nicht adäquat entwickelt. Wir haben die kurzfristige Kostenersparnis viel zu hoch priorisiert. Denn andere Wirksamkeits- und Wirtschaftlichkeits-Aspekte konnten wir bei der Gestaltung unserer Prozessketten aus unserem Bezugs-System herausdrücken. Egal, ob bei der Bilanz unseres Unternehmens oder der persönlichen Bilanz. 

Schauen wir uns zunächst zwei Haupt-Aspekte der Globalisierung an:

  • Globale Mobilität und
  • Globale Lieferketten

Globale Mobilität

Hier bewegt sich der Mensch selbst und das in vielfältiger Form:

  • Berufs-Pendeln
  • Geschäftsreisen
  • Urlaub
  • Schüleraustausch
  • Bildungsreisen

Für unsere Mobilität nutzen wir Transportmittel wie Auto, Bahn oder Flugzeug. Ohne in die Diskussion über die Besteuerung von Flug-Kerosin einzusteigen wird die Energie für Strom oder Diesel niemals und in keinem Land der Welt abhängig von der Entfernung besteuert. Und so kommt es, dass lange Strecken durch den technischen Effizienzaspekt deutlich günstiger pro zurück gelegter Streckeneinheit sind als kurze Strecken. Die Technik verhilft den langen Strecken also zu einem spezifischen Preisvorteil.

In unserer digitalen vernetzen Welt wäre es technisch sicher machbar, ein Urlaubs-Ticket teurer zu machen, als ein Ticket für einen Pendler oder Geschäftsreisenden. Aber wäre das überhaupt gewollt? Welche Art von Mobilität wollen wir gesellschaftlich fördern? Ist ein weites Pendeln zur Arbeit positiv für unsere Gesellschaft? Ist ein billiger Flug nach Asien gut für uns, damit wir dort preiswert Urlaub machen können?

Home sweet home vs. Weltoffenheit

Unserem Bildungsideal entspricht es auf jeden Fall, sich durch Reisen in ferne Länder weltoffen zu zeigen. Ein Umziehen für den Job ist vielen Ländern normal; wir Deutschen optimieren unseren Wohnort lieber am Ideal eines möglichst großen Eigenheimes.

In diese Kosten-Diskussion müssen wir in Zukunft auch die weltweite und lokale Verwirbelung von Pandemie-Risiken einbeziehen. Denn das Pendeln zur Arbeit in eine andere Region ist für diesen Teilaspekt genauso schädlich, wie die zahlreichen massentouristischen Urlaubsreisen.

Wenn wir uns hierzu eine gesellschaftliche Meinung gebildet und ein klares Ziel erarbeitet haben, dann ist eine entsprechende Preisgestaltung mit Hilfe digitaler Technologien sicherlich möglich. Zum Beispiel durch Besteuerung in Abhängigkeit von der Art der Reise.

Und gewiss werden wir dann auch die Diskussion führen müssen, ob diese Ungleichbehandlung unserem Freiheits-Ideal entspricht. Aber so viel kann vorweggenommen werden: Auch der persönliche Freiheitsbegriff von Hegel im Kontext von Vernunft und Willkür geht stets nur so weit, wie man die Rechte der anderen, also der Gesellschaft nicht einschränkt. Übersetzt in unsere aktuelle Zeit bedeutet das: Nur damit ich überall hinreisen kann, kann ich nicht von allen anderen erwarten, zu Hause zu bleiben!

Globale Lieferketten

Bei den globalen Lieferketten reisen nicht die Menschen, sondern die Ware. Übrigens auch immer zum selben Energiepreis und Steuersatz, unabhängig von der Entfernung des Transportweges.

Bei der wirtschaftlichen Globalisierung geht es vorrangig um drei Aspekte:

  • Zugriff auf Rohstoffe aus anderen Regionen oder Ländern;
  • Erschließung neuer Produktionsstandorte mit billigeren Arbeitskräften.
  • Und vor allem die Erschließung neuer Absatzmärkte durch die Entwicklung insbesondere der asiatischen Märkte vom Status als Entwicklungsländer über Schwellenländer hin zu Industrieländern.

Verbunden sind diese Aspekte strikt durch das Effizienz-Diktat und hier noch einfacher das Diktat der reinen Kostenoptimierung. Nachdem wir es den Billiglohnländern erst selbst überlassen haben, was sie produzieren, wurden wir in den 1960er Jahren mit preiswertem Spielzeug und Werkzeugen überschwemmt.

Die Reaktion der 1980er Jahre war, dass westliche Industrie-Unternehmen selbst in Billiglohnländern investiert haben aber strikt darauf geachtet haben, dass die Konstruktion und andere Aspekte des Know-How Aufbaus im Industrieland verbleiben. Das funktioniert heute nur noch mäßig. Lediglich Apple gelingt es mit dem Konzept „designed in California“ und produced in China den großen Teil der Wertschöpfung in den USA zu halten. 

Hier sind die digitalen Services aber auch elementarer Nutzen und Schutz-Bestandteil. Es nützt nichts, ein iPhone irgendwo billiger nachzubauen, weil erst das Plattform Ökosystem der Apple-Software-Welt den Nutzen stiftet.

Es bleibt festzuhalten, dass der Kern dieser Industrie-Globalisierung eine preiswerte und stabile Waren-Logistik ist. Dieses extrem preiswerte Logistik-Rückgrat verbindet viele viele Lieferanten zu globalen Wertschöpfungsketten.

Zielbild ist 200 Jahre alt

Das grundsätzliche Konzept unserer aktuellen globalen Wirtschaft stammt aus der industriellen Revolution und verfolgt das Konzept der Economies of Scale unter Einsatz massiver Zentralisierung. An einer zentralen Stelle wird nachgedacht, geplant und konstruiert und das dort Erdachte wird über einen zentralen Prozess von anderen Einheiten des Unternehmens produziert.

Die Unternehmen sind hierarchisch organisiert und implementieren eine hierarchische Informationsverarbeitung. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, dass die Konstruktionsabteilungen inzwischen in ein paar Universitäts-Städten angesiedelt sind, oder die Produktionsstätten über den Globus verteilt sind. Die Informationsverarbeitung folgt nach hierarchischen Konzepten mit Abteilungen wie globaler Entwicklung oder zentralem Einkauf.

Für eine neue Art von Globalisierung gilt es, diese Architektur unserer Unternehmen den neuen Gegebenheiten digitaler Kommunikations- und Produktions-Möglichkeiten anzupassen.

Digitalisierung richtig genutzt

Mit Hilfe von digitaler Technologie haben wir die Möglichkeit, physisch dezentrale Prozesse zentral zu organisieren oder zu orchestrieren.

Wir können also an vielen Orten lokal fertigen mit einem zentralen oder sogar dezentralen Informations-System.

Die Parameter der neuen Ordnung sind dann nicht mehr der absolute Preis mit riesengroßen Produktionsstätten, sondern möglichst die Kombination von kurzen Transportwegen mit einem guten Preis:

  • Nicht mehr eine Mercedes GLE Fertigung in USA und eine E-Klassen Fertigung in Deutschland und dann eine weltweite Distribution der Waren. 
  • Nicht mehr eine iPhone Fertigung in China.
  • Und auch der Zoll wird in dieser Ordnung wirkungslos!

Besser vorstellbar wird der Zielgedanke am stark vereinfachenden Beispiel 3D-Drucker: Wenn man die Vorprodukte nicht doch aus einer zentralen Quelle bezieht, lässt man die Waren direkt dort fertigen, wo sie benötigt werden. Bei Kapazitäts-Engpässen oder Waren-Strom Störungen können die Vorprodukte oder auch die Endprodukte über eine größere Distanz transportiert werden.

Vorbild 3D-Druck

Die Idee beim 3D-Druck ist ja, dass das Fertigungsprogramm für das Produkt überall auf diesem Planeten gleich ist. Ein solches System kann man zentral steuern oder sogar dezentral! Beides hat Vor- und Nachteile; das System ist aber auf jeden Fall robuster gegenüber Störungen, als die heutigen Konzepte mit häufig genau zwei Vorlieferanten.

Aber es geschieht noch etwas anderes: Wenn man all die Daten aus den vielen Produktionsstätten zusammenführt, analysiert und die Feedback-Informationen rückkoppelt, dann entstehen schnell lernende Gesamtsysteme, durch die massive Effizienz-Steigerungen zu erwarten sind. Man wird also im konkreten Fall auf die anderen Vorprodukte in einem Land in einer Produktionseinheit viel besser reagieren können, als im heute zentralistisch optimierten System. Und nach und nach hat man zwar ein weltweit aggregiertes Gesamtprogramm für die Produktionsteuerung mit dem 3D-Drucker; aber dieses Programm kennt all die kleinen Besonderheiten in den Regionen, die sich aus Vorprodukten und Fertigungs-Unterschieden ergeben.

 Bereit für eine neue Art der Globalisierung?

Nebenbei lassen sich Teilhabe und Verantwortung der Menschen in den lokalen Fertigungsprozessen steigern. Denn über die Feedbackprozesse und den lokalen Verbrauch steigt auch die persönliche Eingebundenheit.

Und vor allem: Solche Lieferketten sind resilienter! Resilienter gegenüber Absatz-Schwankungen, Rohstoff-Engpässen, aber eben auch resilienter gegenüber globalen Bedrohungen.

Das hört sich nach einem nicht erfüllbaren Traum an?!

Vielleicht ist es aber auch einfach das, was sich die Menschen eigentlich wünschen. Nur haben die Technologie-Experten in Politik und der Wirtschaft noch nicht gesagt, dass dieser Ansatz auch machbar und schaffbar ist.

Also: Lasst uns diskutieren, was die ersten Schritte dieser neuen Globalisierung sein könnten. Und: ich persönlich glaube nicht daran, dass Protektionismus und die massive Verteuerung von Frachtkosten der richtige Weg sind, um eine weltweit vernetzte Produktion voran zu bringen.

Auf jeden Fall ist unsere aktuelle Krise eine Chance zum Nachdenken!

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