Mit seinem aktuellen Buch Der Corona-Schock: Wie die Wirtschaft überlebt präsentiert Hans-Werner Sinn eine neue Seite: diesmal nicht wissenschaftlich. Viel Meinung, viel Wissen, viel Überblick. Anlass ist die Krise, Ergebnis ist ein Rundumblick zum volkswirtschaftlichen Status und Ausblick unserer Republik – aus der Sinn-Perspektive.
Produziert ist das Buch aus einer Art Interview von Hans-Werner Sinn mit seinem Lektor. Vermutlich eine sehr effiziente Art und Weise – vor allem für ihn – sein Wissen aus vielen Berufsjahren zusammen mit seiner (sehr) aktuellen Haltung (Stand Ende Juni 2020) innerhalb von Tagen in ein Buch zu packen.
Die EU ist keine Transferunion
Seine Kernthese: Die EU darf nicht zur Transferunion verkommen. In diesem Kontext führt er den Webfehler der USA aus dem Jahre 1790 als „Hamilton Moment“ an, als diese sich entschlossen, auf Bundesebene Schulden von Staaten zu übernehmen. Aus seiner Sicht sind hieraus die Sezessionskriege entstanden. Diesen Hass und diese Zwietracht möchte Sinn für Europa verhindert wissen.
Aus seiner Sicht sollten wir die politische Union vorantreiben und eine Fiskalunion auf jeden Fall vermeiden. Sein klares Votum: Jeder Staat muss selbst für seine Schulden aufkommen.
Thema Target Salden
Und natürlich dürfen die Target Salden nicht fehlen: Auch wenn man das Thema jetzt schon ein paar mal gehört hat, so sind die Erläuterungen wieder sehr eindringlich. Und ein paar neue Infos gibt es auch: Wir haben als Bundesrepublik Deutschland für über eine Billion Euro, die andere europäische Staaten sich bei uns geborgt haben, nicht nur keinerlei Sicherheiten, sondern wir zahlen auch noch Strafzinsen dafür an Zentralbanken anderer europäischer Staaten. Und natürlich ist Herr Sinn frustriert und verbittert, dass die deutsche Politik das Thema nicht in die Diskussion einbringt.
Keine ökologischen Träumereien bitte!
Gar nichts hält Herr Sinn von Ökologischen Träumereien: Wenn wir CO2 vermeiden wollen, benötigen wir in den nächsten Jahren aus seiner Sicht wieder Atomkraftwerke. Er argumentiert, dass unsere einseitige Abkehr kein Gramm C02 weltweit spart, sondern wir über Marktmechanismen im Gegenteil dafür sorgen, dass sich der Preis für fossile Brennstoffe reduziert und damit mehr CO2 verbraucht wird.
Schluss mit der Symbolpolitik
Aber auch ein Hans-Werner Sinn hat seine Träume: Wir müssen unsere Politik an langfristigen Zielen ausrichten und auf die Symbolpolitik zur nächsten Wiederwahl verzichten. Die Beispiele für Symbolpolitik mit den verbundenen Kosten für uns alle sind schon der Hammer, aber mit den von ihm beschriebenen längeren Wahlzyklen dürfte es da nicht getan sein.
Damokles Schwert Demographie: So wie wir es mit der Schuldenbremse eingeläutet haben, dürfen wir unseren Folgegenerationen keine Hypotheken aufladen durch neue Schulden. Denn aus demographischer Sicht ist klar, dass wir schon mit der Altersversorgung Schwierigkeiten bekommen werden, und daher alle anderen Arten von Schulden vermeiden müssen.
Klares Votum für die Industrie-Politik gegen E-Mobilität
Verstanden habe ich in seinem aktuellen Buch Sinns für mich aus früheren Artikeln und Interviews nicht nachvollziehbare negative Haltung zu Batterie-betriebenen Elektroautos. Für ihn ist die deutsche Automobilindustrie das Herzstück unseres Wohlstandes. Hier ist es uns immerhin gelungen, auch in China und anderen Billigländern große Absatzkanäle zu öffnen, die heute je nach deutschem Hersteller bis zu 40 Prozent des Umsatzes ausmachen. Sein Votum für Verbrenner-Motoren ist in diesem Kontext nachvollziehbare Industrie-Politik. Aus seiner Sicht ist die geplante CO2-Flottenabsenkung ein für unsere Wirtschaft und unseren Wohlstand nicht zu verkraftendes Ziel.
In seinen Einschätzungen zu einer Post-Corona-Welt teile ich nicht alle seine Thesen: Ich denke, dass Shared-Mobility-Konzepte auch in einer Post-Corona-Zeit einen größeren Platz einnehmen werden.
Immer wieder spannend ist Sinns Einordnung von historischen Zusammenhängen und seine Ableitungen und Empfehlungen sind erfrischend (und manchmal einfach). Auch wenn die eine oder andere Wiederholung durch das Frage-Antwort-Spiel enthalten ist, bleibt die Lektüre kurzweilig und lesenswert. Sinn macht meistens Sinn, auch wenn ein wenig Unsinn dabei ist.
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Hans-Werner Sinn
Der Corona-Schock: Wie die Wirtschaft überlebt
Verlag Herder, 224 Seiten, 18,00 Euro
Kindle-Ausgabe 13,99 Euro